Radio Ginseng: An der gesunden Wurzel

Seit vier Jahren sendet aus Grünheide von Senioren für Senioren das Radio Ginseng

  • Danuta Schmidt
  • Lesedauer: 5 Min.
Im Studio von Radio Ginseng: Peter Reichelt am Mikrofon, dahinter Detlef Groth
Im Studio von Radio Ginseng: Peter Reichelt am Mikrofon, dahinter Detlef Groth

Am 28. März 2021 ging Radio Ginseng aus Grünheide im Landkreis Oder-Spree an den Start. »Es war eine Live-Sendung. Wir hatten den Sender Arte zu Gast, und das Team begleitete uns für mehrere Wochen. Daraus entstand die Sendung ›Für immer jung‹«, erinnert sich Ulrich Burow.

Burow hatte den zündenden Gedanken, ein Radio für die Altersgruppe 60 plus zu machen – ein freies Radio, ungefiltert und voll mit Erfahrungen der älteren Menschen, die diesen Sender machen. In Südengland gibt es ein Radio für Leute, die nicht mehr arbeiten. »Das habe ich mir eine Woche lang angesehen. Ich wollte sehen, wie das organisiert ist, wie die Leute miteinander umgehen.« Burow hatte es im Internet recherchiert. »Ich konnte die Technik einschätzen. Im ersten Beruf bin ich Rundfunk-Mechaniker.«

Es begann bei den Burows im Keller in Grünheide. Am Anfang war Ulrich Burow ganz allein mit seiner Idee: »Aus MDF-Platten und Holzleim habe ich vor sechs Jahren die Studiomöbel gezimmert. Das war die erste Investition. Danach Mischpulte bestellen, die Technik, Mikrofone ausprobieren. So entstand eine Art Labor-Studio. Und dieses Ergebnis steht nun hier.« Der Radiobegeisterte steckte seine Ersparnisse in das Projekt. Das Geld kam später zurück über Mitgliedsbeiträge und die jährliche finanzielle Förderung durch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB). Die technische Förderung kam in den nächsten Jahren auch von der MABB.

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Warum ist das Radio Ginseng benannt nach einer Wurzel, deren Genuss ein hohes Alter garantieren soll? »Das war meine Idee, und das ist genau die Begründung. Wir hätten uns auch Radio Kamillentee nennen können. Doch das klingt nach Krankheit. Die Arbeit mit dem Radio ist dermaßen intensiv und fordernd. Und Ginseng steht für Stärke im Alter, ist demenzverhindernd.« Es gibt sogar Kontakt zu einer Ginseng-Produzentin in Niedersachsen, der einzigen in Deutschland. Sie ist jetzt auch Vereinsmitglied und hat eine Sendereihe über Ginseng produziert.

Mit einer Radio-Postkarte berief der Gründer eine erste Versammlung ein. Es kamen 20 Interessierte. Das RBB-Fernsehen berichtete. Mittlerweile sind 60 Mitglieder im Verein, davon etwa 25 Aktive zwischen 57 und 81 Jahren. Sie kommen aus Berlin-Kaulsdorf, aus Cottbus, Finsterwalde, und es gibt auch zwei Mitglieder, die in den USA leben. Wer mitmacht, muss nicht nur recherchieren und moderieren können, sondern auch »schneiden«. Das soll auch die digitale Bildung bei den älteren Menschen fördern.

Burow studierte wie auch Matthias Loke, der die »Sternenstunde« moderiert und die Öffentlichkeitsarbeit macht, Journalistik an der Universität in Leipzig. Er kam 1984 über das Theater in Brandenburg/Havel als Assistent an die Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg zu Professor Lothar Bisky, der in den 90er Jahren Politiker wurde und die Hochschule rettete, die inzwischen eine Universität ist.

»Wir hätten uns auch Radio Kamillentee nennen können. Doch das klingt nach Krankheit.«

Ulrich Burow Radio-Gründer

Die anderen Moderatoren und Mitglieder haben andere Geschichten: Mit Alice Mier ist eine Schulleiterin dabei, mit Ines Rosiak eine ehemalige Krankenschwester, die das Kulturmagazin moderiert. »Gedichte rezitieren, in Hörspielen sprechen – Traum verwirklicht!«, sagt Rosiak. Detlef Groth, ein Tausendsassa, war Kaufmann, DJ und machte unter anderem Strandfunk an der Ostsee. Jürgen Rothe ist ausgebildeter Studioingenieur und Tontechniker. »Wir senden nonstop, sieben Tage, 24 Stunden. Eine Live-Sendung wird zum Beispiel am Montag aufgezeichnet und dann eine Woche lang gesendet. Das ist auch nachhaltig«, sagt er.

Das muss den rüstigen Rentnern erst einmal jemand nachmachen – diese Mischung aus Aufzeichnungen, Live-Formaten, Gesprächssendungen, viel ausgewählte Musik. Sendungen über die Beatles gehören zum Programm, Morgensendungen, eine Kultursendung, Interviews mit Zeitzeugen, mit Gisela Oechelhaeuser, Jens Weißflog, eine Sportsendung. Der Schlagersänger Frank Schöbel kam, und auch die Jazzsängerin Uschi Brüning war im Studio Ginseng in Grünheide. »Wir legen Wert auf eine regelmäßige Arbeit und wollen eine breite Hörerschaft«, heißt es.

Alice Mier ergänzt: »Es ist schwer, junge Menschen zu finden, die auch mitmachen. Ich hatte einen Generationentalk zwischen Großeltern und Enkeln, habe zwei Sendungen gemacht. Die jungen Leute durften das Thema aussuchen. Auch mit einem Schülerpraktikanten entstand eine Sendung.«

Die Arbeit stärkt das Miteinander, ist heilsam, erfrischt das Herz und fördert den Geist. Man fühlt sich gehört und gebraucht. Die Radiomacher bringen reiche Lebenserfahrungen, unterschiedliche berufliche Hintergründe und einen unverstellten Blick auf alles sowie gelassene Ruhe mit. »Die Leute arbeiten hier ehrenamtlich und richtig professionell nur aus Spaß. Es ist auch Sozialarbeit für uns selbst.« Sie sind weder abhängig von Meinungen oder Senderchefs, noch schielen sie nach Quoten. Alle wollen es unbedingt, und das hört man im Radio. Das ist freies Radio.

»Wenn wir Feedback bekommen, und das hätten wir gern öfter, lesen wir immer wieder, dass die Hörer uns als Informationsquelle betrachten und uns großes Vertrauen schenken«, berichtet Ulrich Burow. »Ich glaube, dass wir sehr viel näher am Hörer sind als viele Sender. Das ist auch unser Anspruch.«

Der vierte Geburtstag wurde bei Kartoffelsuppe und Sekt am großen Tisch gefeiert. Selbstverständlich erst nach der Sendung, die Peter Reichelt moderierte, und nach der Interview-Aufzeichnung mit einem Kollegen vom Chemnitzer Freien Radio T, der extra angereist war, um zu gratulieren.

Das im Internet übertragene Radio Ginseng (www.radioginseng.de) hat auch eine eigene App für das Handy; Freitag und Samstag ist der Sender auf DAB+ zu hören.

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