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Rechtshilfe gegen Willkür
Gewerkschaften erstreiten jedes Jahr vor Arbeitsgerichten hohe Summen, die Beschäftigten von Arbeitgebern vorenthalten wurden
Neue Dienststelle, 170 Kilometer von zu Hause entfernt, Arbeitsantritt am nächsten Morgen. So lautete die Anweisung eines Logistikunternehmens aus dem brandenburgischen Zossen an einen seiner Lagerarbeiter. Schon mit dem Auto ist das eine Fahrt von anderthalb Stunden - einfache Strecke. Doch der Mitarbeiter hatte keinen Führerschein. Allein für den Hinweg hätte er mit öffentlichen Verkehrsmitteln über fünf Stunden gebraucht. Das wusste der Arbeitgeber, der den Mitarbeiter auch gar nicht weiterbeschäftigen, sondern eigentlich loswerden wollte.
Eine erste Kündigung war jedoch vom Gericht gekippt worden. Deshalb versuchte es das Unternehmen nun mit Schikane. Der Plan: Entweder der Mitarbeiter gibt von sich aus auf - oder er widersetzt sich der Anweisung, dann kann man ihm aus diesem Grund kündigen. Letzteres trat ein. Doch der Lagerarbeiter suchte Unterstützung bei seiner Gewerkschaft und klagte gegen den neuerlichen Rausschmiss.
Der Fall in Zossen ist einer von Tausenden, die Gewerkschaften jedes Jahr für ihre Mitglieder vor Gericht ausfechten. Die meisten drehen sich um Lohnstreitigkeiten oder den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, wie die DGB-Rechtsschutz GmbH angibt, eine Tochtergesellschaft des DGB, die die Verfahren führt. Wobei der Anteil betriebsbedingter Kündigungen eher rückläufig ist, was Gewerkschaften auf die gute Konjunktur zurückführen. »Wenn gekündigt wird, dann eher aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen«, erläutert Rechtsschutzsekretär Till Bender gegenüber »nd«.
Die Gewerkschaften übernehmen die Kosten, die selbst im Falle des Erfolgs anfallen, eine Besonderheit in Arbeitsgerichtsverfahren - und gutes Argument in der Mitgliederwerbung. Die meisten Klagen werden für die beiden mitgliederstärksten Gewerkschaften IG Metall und ver.di angestrengt. Die Einzelgewerkschaften bereiten die Fälle in der Regel vor, die Vertretung erfolgt dann durch die DGB-Rechtsschutz GmbH. Gelegentlich komme es aber auch vor, dass gerade die größeren Gewerkschaften selbst Prozesse führen, wenn ihnen dies aus organisationspolitischer Sicht sinnvoll erscheint, so Bender.
Im vergangenen Jahr nahmen die 111 DGB-Rechtsschutzbüros bundesweit rund 121 000 neue Verfahren im Arbeits- und Sozialrecht auf. Das sind ca. 6700 weniger als im Vorjahr, aber insgesamt ist die Zahl der Verfahren an den Arbeitsgerichten derzeit rückläufig. Die wirtschaftliche Hochphase mag Einfluss darauf haben. Ob sich darüber hinaus die Arbeitgeber jetzt mehr an das Recht halten oder sich die Arbeitnehmer weniger trauen, ihre Rechte einzuklagen, lässt sich nicht sagen.
In letzter Zeit ist eine Zunahme von Streitigkeiten um Arbeitszeugnisse zu beobachten. »Offenbar hat sich herumgesprochen, dass es hier geheime Codes gibt und auch freundlich scheinende Passagen negativ sein können«, erklärt der Rechtsexperte Bender. Auch gegen Abmahnungen wird verstärkt geklagt. Im Sozialrecht wiederum müssen Beschäftigte oft um die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft kämpfen, dicht gefolgt von Auseinandersetzungen um Grundsicherung, Arbeitslosen- und Rentenversicherung.
Welche Seite sich vor Gericht häufiger durchsetzt, kann man im Arbeitsrecht nur schwer beantworten, denn oft enden die Verfahren mit einem Vergleich. Die Summen, die der DGB-Rechtsschutz jedes Jahr für Gewerkschaftsmitglieder erstreitet, sind jedoch beachtlich: 2016 waren es 6,253 Milliarden Euro, der Betrag von 2017 dürfte nur wenig darunter liegen, heißt es.
Schwierigkeiten, einen Prozess zu gewinnen, bestehen etwa dann, wenn der Arbeitnehmer die volle Beweislast trägt, wie bei Eingruppierungen in eine Vergütungsgruppe, wegen derer denn auch vergleichsweise selten geklagt wird. Oder wenn die Rechtsprechung hohe Hürden für die Darlegung aufstellt, etwa bei Überstunden. Nicht umsonst laufen Arbeitgeberverbände seit Jahren Sturm gegen jegliche Forderung, die Arbeitszeiten genauer zu dokumentieren. So scheitern Klagen bei Nichteinhaltung des Mindestlohns regelmäßig an fehlenden Nachweisen.
Im Falle des Lagerarbeiters aus Zossen, dem sein Chef fünf Stunden Arbeitsweg zumuten wollte, war die Sachlage klar: Sowohl das Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht erklärten die Kündigung nach seiner Weigerung für rechtswidrig. Begründung: Auch wenn der Arbeitgeber über eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer verfügt, so hat diese Befugnis ihre Grenzen. Die Situation des Arbeitnehmers muss immer mit einbezogen werden. Sonst ist es Missbrauch. Und der lag hier vor.
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