Sapperlot - wenn Wörter verschwinden
In Bonn wird die Geschichte der Sprache erforscht
Was ist das für ein hanebüchener Kokolores, treibt da ein Schlingel Schabernack? - So redet heute wohl niemand mehr. Manch einer mag über die alten Wörter abfällig den Kopf schütteln, bei manch einem wecken sie nostalgische Gefühle, und manch ein jüngerer Mensch hat diese Ausdrücke noch nie gehört. Im Laufe der Jahre verschwinden immer wieder Wörter aus dem aktiven Sprachgebrauch. »Der Grund dafür ist eigentlich ganz einfach«, sagt Claudia Wich-Reif, Professorin für Geschichte der Deutschen Sprache an der Universität Bonn: »Wir brauchen diese Wörter nicht mehr.«
Dafür gibt es unterschiedliche Ursachen. Häufig werden Begriffe durch modernere - oft aus dem Englischen stammende - Bezeichnungen ersetzt, zum Beispiel »High Heels« statt »Stöckelschuh«. Andere Wörter werden abgelöst, weil sie heute etwa als diskriminierend gelten. Manchmal verschwinden Wörter auch, weil es die Sache, die sie bezeichnen, kaum noch gibt - etwa »Walkman«. Es seien keineswegs nur sehr alte Wörter vom Aussterben bedroht, sondern durchaus auch relativ junge Begriffe, die schlichtweg vom Fortschritt überholt würden, sagt Wich-Reif. »Durch das Wegfallen von Wörtern verarmt die Sprache aber nicht«, betont die Sprachwissenschaftlerin. »Wir bekommen ja auch ständig neue Wörter dazu.« Viele davon kämen aus der Jugendsprache.
Katharina Mahrenholtz hat 100 »vergessene Wörter« in einem im Duden-Verlag erschienenen Buch zusammengestellt und ihre Herkunft beleuchtet. »Kaum jemand kennt zum Beispiel die ursprüngliche Bedeutung von ›hanebüchen‹ oder benutzt den Ausdruck aufgrund dessen«, sagt die Journalistin. Seinen Ursprung hat das Wort im Namen der Hainbuche, einem Baum mit sehr knorrigem Holz. Daraus bildete sich das Adjektiv »hainbüchen«, was im 18. Jahrhundert zu »hanebüchen« wurde und seine Bedeutung zu »absurd« oder »unerhört« wandelte.
»Kokolores« entstand laut Mahrenholtz wahrscheinlich im 16. Jahrhundert als Nachahmung eines Hahnenschreis, so wie »Kikeriki«. »Kokolores« ist als Synonym für »Unsinn« oder »Quatsch« inzwischen eher ungebräuchlich, ähnlich wie »Firlefanz«, »Mumpitz« oder auch »Schabernack«. Letzteres stammt aus dem 14. Jahrhundert, als Till Eulenspiegel seine Streiche spielte.
Kindheitserinnerungen und Nostalgie seien häufig Gründe, warum jemand ein inzwischen ungebräuchliches Wort weiter benutzt - oder weil er bedauert, dass es kaum noch zu hören ist, sagt Wich-Reif. Beim Ausruf »Sapperlot!« denkt so mancher vielleicht an den Räuber Hotzenplotz. »Die Wörter sind ja nicht wirklich weg, sondern existieren in alten Texten weiter«, sagt die Wissenschaftlerin. »Sprache unterliegt dem Wandel und ist immer auch ein Kennzeichen für eine bestimmte Zeit.«
Übrigens: Nicht nur Wörter verschwinden aus dem Sprachgebrauch, sondern auch in der Grammatik gehen Dinge verloren - etwa das Dativ-E wie bei »dem Manne« oder »dem Buche«. Das Fazit der Sprachwissenschaftlerin: »Wenn wir alles behalten hätten, was irgendwann mal da war, dann würden wir heute wahrscheinlich noch Althochdeutsch sprechen.« dpa/nd
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