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Vorsichtige Absetzbewegungen
Die SPD blinkt in der Koalition links, geht aber im Umgang mit der Union kein Risiko ein
Andrea Nahles hat sich in der Sommerpause des Bundestags nicht viel Zeit für Erholung genommen. Bereits im Juli ist die Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD auf Sommertour gegangen. Journalisten, die sie begleiteten, gewannen den Eindruck, dass Nahles verprellte Wählerschichten zurückgewinnen will. Erst kürzlich hat sie bei einem Besuch in der Lausitz im Grenzgebiet zwischen Brandenburg und Sachsen betont, dass die SPD die einzige Kraft sei, die die Interessen der Industriearbeiter wahre. Tatsächlich treten die Sozialdemokraten beim Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohleenergie, von dem viele Beschäftigte in der Lausitz betroffen wären, auf die Bremse.
Doch es sind nicht nur die Arbeiter, die Nahles in den Blick genommen hat. Die SPD soll nach ihrem Willen insgesamt wieder als eine Partei der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen werden. So erhofft sie sich, aus dem Umfragetief wieder herauszukommen. In bundesweiten Umfragen kommt die Partei nur noch auf 17 bis 18 Prozent. Bei den Landtagswahlen im Herbst in Hessen und Bayern drohen Blamagen.
Am Wochenende druckten die Zeitungen der Funke Mediengruppe ein Interview mit Nahles ab, in dem sie sich für eine Abschaffung der Leistungskürzungen für jüngere Hartz-IV-Empfänger aussprach. Denn diese wirkten kontraproduktiv, erklärte die SPD-Chefin. Die Betroffenen meldeten sich nie wieder im Jobcenter, um einen Ausbildungsplatz zu suchen. »Ergebnis sind ungelernte junge Erwachsene, die wir nicht mehr erreichen«, monierte Nahles.
Junge Hartz-IV-Empfänger unter 25 Jahren können bei Verstößen gegen die Regeln härter bestraft werden als ältere. Schon beim ersten Verstoß, der über ein Meldeversäumnis hinausgeht, kann ihnen die gesamte Leistung gesperrt werden. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will dies ändern.
Entsprechende Forderungen hatten die Sozialdemokraten auch in ihrem Wahlprogramm vertreten. Doch in den Koalitionsverhandlungen mit der Union ist die SPD eingeknickt. In der schwarz-roten Koalitionsvereinbarung sind keine Änderungen der Hartz-IV-Sanktionen vorgesehen. Die Union sieht auch weiterhin keinen Änderungsbedarf. Fraktionsvize Hermann Gröhe (CDU) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass »zur Unterstützung durch Hartz IV eben auch Mitwirkungspflichten mit dem Ziel gehören, wieder Arbeit zu finden«. Das sei gerade bei jungen Arbeitslosen wichtig. »Eine Mitwirkungspflicht steht jedoch nur auf dem Papier, wenn es keine Möglichkeit gibt, bei Verweigerung auch Leistungen zu kürzen«, so Gröhe.
Nach Einschätzung von Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), geht der Vorstoß von Nahles hingegen in die richtige Richtung. »Allerdings sollten Sanktionen generell abgeschafft werden. Sie drücken Menschen in extreme Notlagen und spielen den Arbeitgebern in die Hände, die mit prekärer und schlecht bezahlter Arbeit Gewinne machen«, sagte Hoffmann den Funke-Blättern.
Dietmar Bartsch sprach von einer »späten Erkenntnis« der SPD-Vorsitzenden. Der Linksfraktionschef forderte aber, dass die Sanktionen für alle und Hartz IV weg müssten. So weit will Nahles aber nicht gehen. »Es gibt Licht und Schatten bei Hartz IV«, meinte sie. »Wir sollten nicht alles rundweg ablehnen, was diesen Namen trägt.«
In der vergangenen Legislaturperiode hatte Nahles als Arbeitsministerin dazu beigetragen, dass die Möglichkeiten zur Bestrafung von Hartz-IV-Empfängern verschärft werden. Seitdem können die Jobcenter Leistungen auch über lange Zeit empfindlich kürzen.
Die Äußerungen von Nahles zu Hartz IV sind ähnlich einzuschätzen wie ihr Vorstoß zu den Chancen für ein rot-rot-grünes Bündnis auf Bundesebene. »Ich bin nach wie vor im Gespräch mit Grünen und LINKEN, wie wir Mehrheiten jenseits der Großen Koalition ermöglichen können«, verriet Nahles den Funke-Zeitungen. Bislang hatte sie eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei, die im Unterschied zur SPD Auslandseinsätze der Bundeswehr ablehnt, vor allem wegen der außenpolitischen Differenzen skeptisch gesehen.
Auch Finanzminister Olaf Scholz blinkt links. Der SPD-Vize, der einst dabei mitgeholfen hatte, die Rente mit 67 durchzusetzen, schwang sich nun zum Vorkämpfer für die Rentnerinnen und Rentner auf. »Wir werden darauf bestehen, dass die Bundesregierung ein stabiles Rentenniveau auch in den 20er und 30er Jahren gewährleistet und ein plausibles Finanzierungsmodell vorlegt«, sagte Scholz der »Bild am Sonntag«. Sollte das nicht gelingen, drohte er mit einem »Rentenwahlkampf«.
Kommentar: »Seit Jahren immer wieder das selbe unwürdige Schauspiel«
Die Große Koalition hat sich bislang nur auf eine Stabilisierung des Rentenniveaus bis 2025 geeinigt, für die Zeit danach soll eine Rentenkommission Vorschläge machen. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte, es sei für die Arbeit der Kommission »nicht gut, wenn nun von Seite des Koalitionspartners weitgehende Forderungen gestellt werden«.
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