Vanuatu als letzter Ausweg
Ein Jahr vor der Wahl in Sachsen befindet sich die CDU im Sinkflug
In Zeiten schwindenden Zuspruchs für große Parteien mussten Journalisten ihre Fähigkeiten erweitern und Vexillologen werden. Vexillologie ist die Lehre vom Flaggenwesen; Wissen in dem Gebiet hilft, griffige Namen für neue politische Konstellationen zu finden: Jamaika etwa oder den in Sachsen-Anhalt praktizierten Pakt von CDU, SPD und Grünen namens »Kenia«, der die einzige Möglichkeit darstellte, die AfD von der Regierung fern zu halten. In Sachsen, deuten Umfragen seit Monaten an, dürfte es nach der Landtagswahl heute in 368 Tagen selbst für eine schwarz-rot-grüne Koalition nicht reichen; für eine Mehrheit wäre noch die FDP nötig. Vexillologen halten für das Viererbündnis den Namen »Vanuatu-Koalition« bereit.
Eine aktuelle Umfrage von Infratest-Dimap im Auftrag des MDR bestätigt dieses Szenario. Sie sieht die CDU bei nur noch 30 Prozent, satte 9,4 Punkte unter ihrem Ergebnis bei der Landtagswahl 2014. Die AfD, die bei der Bundestagswahl 2017 schon einmal knapp stärkste Kraft im Land wurde, visiert das Ziel nun auch bei der Landtagswahl an; mit 25 Prozent liegt sie in Schlagdistanz. Die LINKE läge mit 18 Prozent auf dem dritten Platz; die SPD käme auf elf Prozent, Grüne und FDP werden bei sechs bzw. fünf Prozent geführt.
Die Union, die im Freistaat seit 1990 ohne Pause regiert hat und dabei seit 2004 auf nur einen kleinen Partner angewiesen war, müsste drei Parteien ins Boot holen, um an der Macht bleiben zu können - vorausgesetzt, man verzichtet auf ein Bündnis mit AfD oder LINKE. Die aktuelle Koalition aus CDU und SPD ist meilenweit von einer Mehrheit entfernt, auch Jamaika käme nur auf 46 und Kenia auf 47 Prozent. Nur alle vier Parteien zusammen bringen es auf eine Mehrheit von 52 Prozent.
Wachsende Unruhe in den Reihen der CDU wird der Umstand auslösen, dass der im Dezember erfolgte Wechsel von Stanislaw Tillich zu Michael Kretschmer im Amt des Regierungschefs den Sinkflug nicht beendet. Kretschmer sollte für frischen Wind sorgen; der 43-Jährige ist permanent im Land unterwegs, übergibt Fördermittel und redet mit allen und jedem. Wirkung zeitigt die Offensive bisher nicht. Im Juni 2017 wurde die CDU zuletzt bei über 40 Prozent geführt, seither geht es stetig bergab - nicht nur bei den Zweitstimmen. Das Portal »wahlkreisprognose.de« sagt voraus, die CDU könne bis zu 26 der 60 Wahlkreise an die AfD verlieren, vor allem in Ostsachsen, wo diese schon bei der Bundestagswahl Erfolg hatte. Bisher konnte die CDU den sprichwörtlichen Besenstiel aufstellen und gewann - bis auf Ausnahmen in den Großstädten - trotzdem immer.
Den Trend, wonach die AfD in den Umfragen beharrlich zulegt, nennt Antje Feiks, Landeschefin der LINKEN, »sachsengemacht«: Übernehme die CDU rechte Parolen, stärke sie das Original. Es sei »höchste Zeit, dem von Mitte-Links etwas entgegen zu setzen«. Allerdings stagniert Rot-Rot-Grün im Freistaat bei gut einem Drittel der Stimmen. Dass sie durch ein Bündnis mit der CDU eine Regierungsbeteiligung der AfD verhindern könnte, hatte die LINKE erst am Wochenende auf einem Parteitag vehement ausgeschlossen.
Langjährige Beobachter der sächsischen Verhältnisse fürchten deshalb, dass die Zeichen auf Schwarz-Blau stehen. Zwar hat Kretschmer das ausgeschlossen. Die »Frankfurter Rundschau« kommentierte dieser Tage aber, womöglich könne er seiner Partei darin nicht trauen. Komme es 2019 zur »Gewissensfrage«, ob sie mit der AfD paktiert, wäre etwa Fraktionschef Frank Kupfer unter Umständen »sehr schnell sehr beweglich«. Der grüne Ex-Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi glaubt ohnehin, dass die CDU im Zweifel zur AfD tendiert - aus Interesse an einer »Heilung der als schmerzlich empfundenen Spaltung der eigenen Wählerschaft«.
Ausschließlich »sachsengemacht« ist die Stärke der AfD nicht. Sie liegt auch in Sachsen-Anhalt (21 Prozent) und Thüringen (23 Prozent) auf Platz 2 hinter der CDU (30 bzw. 28 Prozent). In Sachsen-Anhalt werden die LINKE bei 19, die SPD bei 14, die Grünen bei 6 und die FDP bei 8 Prozent geführt; in Thüringen käme die LINKE auf 22, die SPD auf 10, die Grünen auf 6 und die FDP auf 5 Prozent. Für eine Fortsetzung von Rot-Rot-Grün reicht das nicht.
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