• Berlin
  • Verfassungsschutzbericht 2017

Hauptstadt des Salafismus

Trotz des Niedergangs des sogenannten Islamischen Staats haben Islamisten weiter Zulauf

  • Jérôme Lombard
  • Lesedauer: 3 Min.

Extremistische Einstellungen nehmen in Berlin weiter zu. Das geht aus dem neuen Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2017 hervor, den Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Dienstag im Roten Rathaus vorstellte. Demzufolge stieg die Zahl der Islamisten 2017 im Vergleich zum Vorjahr um 110 Personen von 840 auf 950. Davon gelten 420 als gewaltorientiert. Das sind 40 mehr als noch ein Jahr zuvor. International agierende islamistische Organisationen wie die Hamas und die Hisbollah verfügen in Berlin über 320 Anhänger. Gruppierungen wie »Muslimbruderschaft« und die »Milli Görus«-Bewegung haben eine Anhängerschaft von 620 Personen. Der Zuwachs in der islamistischen Szene sei also vor allem auf die wachsende Anhängerschaft des Salafismus zurückzuführen, wie es in dem Bericht heißt. »Berlin bleibt unverändert einer der bundesweiten Schwerpunkte des Salafismus«, sagte Geisel.

Das Spektrum der Rechtsextremen bewegt sich den Angaben zufolge mit rund 1430 Personen auf unverändert hohem Niveau. Von diesem Personenkreis seien 700 als dezidiert gewaltbereit einzustufen. Als prägenden Akteur in der Szene haben die Verfassungsschützer die »Identitäre Bewegung« (IB) ausgemacht.

Antisemitismus im Fokus

Im vergangenen Jahr kam es in Berlin wiederholt zu antisemitisch motivierten Vorfällen: Auf Demonstrationen gegen die Verlegung der US-Botschaft nach Jerusalem wurden israelische Flaggen verbrannt, in Neukölln wurden Stolpersteine aus dem Pflaster gerissen und in Schöneberg wurde der Besitzer eines israelischen Restaurants minutenlang beschimpft.

Diese Vorkommnisse hat der Berliner Verfassungsschutz zum Anlass genommen, dem Thema Antisemitismus erstmalig ein eigenes Kapitel in seinem aktuellen Bericht zu widmen. »Antisemiten treten offener und aggressiver auf und forcieren eine Grenzverschiebung im öffentlichen Diskurs«, heißt es in dem Bericht. Auf den Seiten 178 bis 196 geht es um die verschiedenen Ausprägungen des Antisemitismus. Neben »klassischen« Ressentiments wird ausführlich auf den israelbezogenen Antisemitismus eingegangen. Dabei wird deutlich: Antisemitische Denk- und Verhaltensweisen finden sich in allen beobachteten politischen Lagern. jlo

Weiter gewachsen ist das Lager der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter. Ende vergangenen Jahres waren in Berlin 500 sogenannte Reichsbürger aktiv und damit 100 mehr als zum selben Zeitpunkt im Jahr 2016. Rund 110 Personen aus diesem Lager gelten als manifest rechtsextremistisch. Reichsbürger und Selbstverwalter sind zumeist Männer über 40, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Gesetze und Werte nicht anerkennen und deshalb häufig aggressiv gegen Staatsbedienstete vorgehen. »Nach wie vor sind es vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes, die von den Aktivitäten der Reichsbürger-Szene betroffen sind«, heißt es im Verfassungsschutzbericht.

Laut Innensenator Andreas Geisel könne den Reichsbürgern eine besondere Affinität zu Waffen unterstellt werden. Wie viele Reichsbürger in der Hauptstadt genau Waffen besitzen, könne man allerdings nicht sagen.

Die Zahl von Autonomen, Anarchisten, Marxisten-Leninisten und anderen Anhängern linksradikaler Ideologien wuchs im vergangenen Jahr um 160 auf 2950 Personen. Darunter befinden sich den Angaben zufolge 980 Gewaltbereite; zehn mehr als 2016. Wie bereits in den Vorjahren führen die Verfassungsschützer den Zuwachs der Szene auf den Bereich der »Roten Hilfe« zurück. Die Diskussionen um Gentrifizierung, steigende Mieten und soziale Verdrängung habe die linksradikale Szene inzwischen als Hauptbetätigungsfeld ausgemacht, wie Geisel erläuterte. Diverse Fälle schwerer Sachbeschädigungen oder auch Landfriedensbrüche belegten für 2017 das hohe Aktionsniveau der Szene. Viele dieser Straftaten stünden im Zusammenhang mit dem Themenfeld »Anti-Gentrifizierung«.

Erstmalig gibt es in dem Verfassungsschutzbericht auch ein Kapitel zu Antisemitismus. Hintergrund seien die sich häufenden antisemitischen Vorfälle. »Wir bewerten den Antisemitismus nicht nur als Angriff auf Juden und Israel, sondern als ein Kampfmittel der Extremisten verschiedenster Couleur gegen unsere freiheitliche Demokratie«, sagte der Innensenator. Der Verfassungsschutz habe alle Menschen und Personenkreise im Blick, die der Demokratie schaden wollten. »Der Verfassungsschutzbericht 2017 zeigt, dass wir nicht aufhören dürfen, wachsam zu sein«, betonte Geisel.

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