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- Krawalle in Chemnitz
Pogromstimmung mit Ansage
Tausende Rechtsradikale bedrohten in Chemnitz Journalisten und Gegendemonstranten
Montagabend, gegen 21.30 Uhr in Chemnitz. Den Neonazis gehören die Straßen. In kleinen Gruppen streifen sie im Dunkeln durch die Stadt. Sie wollen ihren Sieg auskosten, sind auf der Suche nach Opfern. Die letzten Journalisten versuchen, sich in Sicherheit zu bringen, sie flüchten in ihre Autos oder Hotels. Verletzungen werden versorgt, einige haben bereits vor einer Stunde ihre Arbeit eingestellt. Ein Antifaschist liegt derweil am Johannisplatz blutend am Boden, Sanitäter versorgen ihn. Die Nase ist gebrochen. Sein Freund berichtet gegenüber »nd«, dass mehrere Hundert Rechtsradikale einer Gruppe von abreisenden Gegendemonstranten aufgelauert haben. Die Polizei sei nicht zur Hilfe gekommen. Beamte sind zu diesem Zeitpunkt nur noch sporadisch zu sehen. Sie scheinen auf ihren eigenen Schutz bedacht zu sein.
Das bittere Ende des Tages wirft Fragen auf. Nach dem Tod eines 35-jährigen Deutsch-Kubaners nach einer Messerstecherei hatten rund 800 Rechtsradikale bereits am Sonntag in Chemnitz Hetzjagden auf vermeintliche Ausländer veranstaltet. Für Montag wurde dann bundesweit von AfD, Pegida, Kameradschaften, Neonazi-Parteien und rechten Hooligans in die Stadt mobilisiert. Zahlreichen Beobachtern war klar, dass sich hier etwas Gefährliches, gar eine Pogromstimmung, zusammenbraut. Nicht nur Antifaschisten hatten gewarnt. Laut Medienberichten soll auch der sächsische Verfassungsschutz rechtzeitig auf eine Teilnehmerzahl »im unteren bis mittleren vierstelligen Bereich« hingewiesen haben. Die Polizei versicherte jedenfalls, sie habe die Lage im Blick - und im Gegensatz zu Sonntag auch unter Kontrolle. Es sollte anders kommen.
»Hoffentlich habt ihr genügend Leute heute! Die Kanaken werden sterben!«, schreit ein sichtlich betrunkener Neonazi der Polizei am frühen Abend entgegen. Gemeinsam mit rund fünftausend Rechtsradikalen steht er vor dem Karl-Marx-Denkmal der Stadt. Unter dem zornigen Blick des Alten wird Rechtsrock- und Techno-Musik gespielt, ein Nazi-Banner am Sockel aufgehangen. Einige der meist jungen Männer trinken sich Mut an und pöbeln gegen Journalisten.
Die im Stadtrat vertretene Wählervereinigung »Pro Chemnitz« hat zu einem »Trauermarsch« für den toten 35-Jährigen aufgerufen. Statt Trauer ist bei der rechten Versammlung jedoch vor allem Hass zu sehen. Mehrmals zeigen Teilnehmer den Hitlergruß, einige vermummen sich. »Lügenpresse«, »Merkel muss weg« und »Volksverräter«-Rufe werden angestimmt. Nur mit Mühe halten Ordner aggressive Teilnehmer zurück. Die Polizei hat eine Reihe Beamte vor der Versammlung positioniert, Straftaten verfolgt sie großteils nicht. »Mich wundert, dass relativ wenige Polizisten im Einsatz sind«, sagt der sächsische Grünenpolitiker Jürgen Kasek gegenüber »nd«.
Auf der anderen Straßenseite im Stadthallenpark hat sich der Gegenprotest versammelt. Rund 1500 Antifaschisten sind nach einer kurzfristigen Notfallmobilisierung gekommen, zum Teil aus anderen Städten wie Berlin und Leipzig. Man will ein zweites Heidenau, ein zweites Rostock-Lichtenhagen, verhindern. Lautstark wird gegen die Rechten protestiert, für das Mordopfer halten die Antifaschisten eine Schweigeminute ab. Unter den Gegendemonstranten befindet sich Dagmar Weidauer, Stadträtin der Linkspartei. »Ich bin hier, um zu zeigen, dass es auch ein solidarisches Chemnitz gibt«, sagt die Politikerin dem »nd«. Von der Landesregierung wünsche sie sich deutlichere Worte zu den rechten Ausschreitungen.
Dann geht es ganz schnell. Die Rechtsradikalen drängen plötzlich in Richtung Gegendemonstranten. Flaschen, Pyrotechnik und Böller werden massiv auf Antifaschisten und Journalisten geworfen. Laut Zeugen werfen auch einige Gegendemonstranten zurück, der Großteil versucht in Deckung zu gehen. Für kurze Zeit bricht Panik aus. Die Polizei fährt zwei Wasserwerfer auf, setzt diese jedoch nicht ein.
Zur Überraschung der Antifaschisten darf sich der Demonstrationszug kurz nach dem Angriff unvermittelt in Bewegung setzen. Entlang des Stadtrings ziehen die aufgepeitschten Rechtsradikalen auf die Straße. Aus der Spitze heraus greifen sie Beamte an. Die ersten Minuten befindet sich kein Polizeispalier an der Seite der Demonstration. Einige Dutzend Rechtsradikale nutzen die Chance und stürmen eine Terrasse, auf der sich Gegendemonstranten und Journalisten befinden. Die Medienschaffenden versuchen zu flüchten, mindestens einer wird verletzt.
Die Rechten preschen unter »Widerstand«- und »Wir sind das Volk«-Geschrei ihre Route entlang. Auch »Schlagt den Roten die Schädeldecke ein!« ertönt. Es wird deutlich, dass die Polizei lediglich rund 600 und damit unzureichend Beamte im Einsatz hat. Nur zum Teil befinden sich Polizisten an den Seiten des Aufmarschs. Die Rechtsradikalen können sich relativ frei bewegen. Viele verlassen die Demonstration und ziehen auf eigene Faust durch Seitenstraßen.
Die Situation wird bedrohlicher. »Du wirst sehen, dein Gehirn läuft auch noch aus«, sagt ein Versammlungsteilnehmer zu einem Journalisten. Dieser informiert einen Polizisten, von dem jedoch keine Reaktion kommt. Neonazis schlagen einem Reporter das Handy aus der Hand. Auch am Tatort des Messerangriffs werden Journalisten bedrängt. Mit zunehmender Dunkelheit ziehen sich immer mehr Medienschaffende zurück.
Nach rund 90 Minuten erreicht die Demonstration den Ausgangspunkt und damit ihr Ziel. Die Polizei hat die Kontrolle über die rechte Versammlung weitestgehend verloren. Einzelne Gegendemonstranten werden noch zurückgedrängt. Böller fliegen, Gruppen beginnen zu rennen, vereinzelte Schreie. »Wir kommen wieder«, skandiert der Mob. Die Polizei gibt noch in der Nacht zu, dass sie zu wenige Beamte im Einsatz hatte. Sie habe mit Hunderten, nicht mit Tausenden Rechten gerechnet. Festnahmen gab es keine.
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