Polizei als Risiko für Recht und Sicherheit

Das Versagen des Freistaates Sachsen in Chemnitz lässt sich nicht mit einer falschen Einsatztaktik erklären

  • René Heilig
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Staat sei handlungsfähig, erklärt der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) und sein Innenminister Roland Wöllner (CDU) sagt, die Polizisten hätten einen »verdammt guten Job« gemacht. Vorwürfe, der Rechtsstaat habe Chemnitz am Wochenende und am Montag Rechtsextremisten überlassen, streiten beide ab. Doch genau das ist geschehen.

Dass es in Chemnitz nicht zu größerem Blutvergießen gekommen ist, lag nicht an der Polizei. Die Organisatoren des rechten Mobs nutzten den gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen dazu, einen »zivilen« Aufstand zu organisieren. Sie wollten sich als Teil »des empörten deutschen Volkes« präsentieren. Deutlich war in Chemnitz die lenkende Hand nicht nur von gewaltbereiten Fußball-Hooligans, die beste Kontakte zur NPD und zu »Pro Chemnitz« haben, zu spüren. Auch erfahrene Kader des III. Weges und andere bestens vernetzte rechtsextremistische Gruppierungen mobilisierten und organisierten die »Macht der Straße«. Die Taktik unterscheidet sich von der vor gut 25 Jahren in Rostock-Lichtenhagen angewandten. Das Stillhalten der Polizei ist jedoch fast vergleichbar.

Man mag die Anfänge des polizeilichen Versagens noch erklären können. Es passiert häufig, dass die Polizei zunächst mit zu schwachen Kräften vor Ort ist. Doch so man die Lagebeurteilung nicht einer Gruppe frischer Polizeischüler überlässt, kann man rasch Kräfte heranführen und mit einer abgestimmten Taktik staatliche Dominanz aufbauen, also Recht und Gesetz sichern. Das Gejammer über zu wenige Kräfte ist ebenso fadenscheinig wie die Behauptung, man habe nicht mit so vielen Demonstranten (von rechts wie links - welch seltsame Gleichsetzung) rechnen können.

Die sächsische Bereitschaftspolizei verfügt über sieben Einsatzhundertschaften, die in Dresden, Leipzig und Chemnitz stationiert sind. Es ist zudem völlig normal, bei Bedarf Hundertschaften aus anderen Ländern oder von der Bundespolizei anzufordern. Die Vorwarnzeit war ausreichend, alle infrage kommenden Einheiten sind - bis hin zur Luftbeweglichkeit der Bundespolizei - hochmobil, entsprechend ausgerüstet und durchhaltefähig.

Die sächsische Polizeiführung und das Innenministerium müssen sich fragen lassen, wieso die Gegenseite ihre Kräfte aus Berlin, Brandenburg, Thüringen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ungehindert nach Sachsen bringen konnte. Und zwar in einer Anzahl, die ausreicht, um die Staatsmacht - wie schon bei den Ausschreitungen in Heidenau (2015), Bautzen (2016) in Clausnitz oder Wurzen - in Schach zu halten.

In Chemnitz, so scheint es, war die Polizei zufrieden, dass man ihr nichts tat. Und so tat auch sie nichts. Zum Beispiel zur Durchsetzung des Paragrafen 86a Absatz 1 und 2 Strafgesetzbuch. Danach macht sich strafbar, wer Kennzeichen ... und Grußformen verfassungswidriger Organisationen verwendet (bis zu drei Jahren Haft oder Geldstrafe). Strafbar ist auch die Verwendung des Hitlergrußes nach Paragraf 130 StGB, Volksverhetzung (drei Monate bis fünf Jahre Haft). Bei den Nazi-Demos in Chemnitz müssen so Dutzende Jahre möglicher Haft zusammengekommen sein.

Die Landesväter in Dresden machen sich wieder einmal Sorgen, dass das Ansehen ihres Bundeslandes diskreditiert werden könnte. Das ist längst geschehen. Durch den Staat selbst, der nicht verhindert, dass 73 Jahre nach der Zerschlagung des Nazi-Massenmörderreiches in aller Öffentlichkeit wieder der Arm gereckt werden kann. Was Landespolizeipräsident Jürgen Georgie so nicht stehen lassen will. Die Polizei habe »insgesamt 43 Anzeigen« aufgenommen - darunter zehn wegen »des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«. Von mehreren Personen seien Personalien erhoben worden. Ob der Polizeichef sich nicht selbst komisch vorkommt, wenn er das als Erfolg anpreist? Man erinnere sich nur einen Augenblick an andere Demonstrationen, bei denen strukturelle bestehende Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten sich über jeden hermachten, der vermutlich eine PKK-Flagge trug... Man darf gespannt sein, wie rasch und spürbar nun die Justiz handelt.

Mehr denn je gefragt sind in dieser Situation die Polizeigewerkschaften. Der Staat müsse mit Polizei und Justiz seine Bürger schützen können, hört man auch von der größeren GdP. Wenn jedoch der Eindruck entstehe, dass dies nicht mehr möglich ist, sei »der Weg zu Bürgerwehren und Lynchjustiz nicht mehr weit«, sagt Gewerkschaftschef Oliver Malchow. Er meint, nun räche sich der massive Personalabbau »auf drastische Weise«. Man habe »fast nur noch eine Einsatz-Notfallpolizei«.

Man kann darüber streiten, ob die von Malchow geforderte Aufstockung der Polizeien um 20 000 Beamte überzogen ist. Zumal Bund und Länder ja gerade im Bundestagswahlkampf eine Verstärkung um 15 000 Stellen und eine verbesserte Ausrüstung versprochen haben. Das braucht Zeit. Zudem sollte das Argument Personalnot nicht als Ausrede für - aus welchem Grund auch immer angewandte - falsche Einsatztaktiken missbraucht werden.

Angesagt wäre von Gewerkschaftsseite aber auch, konsequenter die Auseinandersetzung mit Sympathisanten rechter Ideologien in den Reihen zu führen. Es gibt mehr als nur Anzeichen dafür, dass gerade die AfD - deren Funktionäre zu der Chemnitzer Revolte aufgerufen haben oder sie verharmlosen - mehr und mehr Gehör unter Polizisten findet. In verschiedenen deutschen Landesparlamenten sitzen Polizisten mit AfD-Mandat. Denen kann kaum entgangen sein, dass sie Politik für eine Partei machen, in der sich (legale) rechtskonservative Positionen mit gefährlichen rechtsradikalen mischen.

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