Ausgleich von Risiken bleibt Zankapfel
Krankenkasse ist nicht gleich Krankenkasse, selbst wenn die privaten Versicherer außen vor gelassen werden. Auch die aktuell noch existierenden 110 gesetzlichen Kassen befinden sich in einem Wettbewerb, in dem sie unter anderem um junge und gesunde Beitragszahler konkurrieren. Die zahlen in der Regel mehr an Beiträgen ein, als für sie in der medizinischen Versorgung ausgegeben werden muss. Gelockt wird etwa mit Exklusivleistungen, niedrigeren Zusatzbeiträgen oder mit Bonussystemen. Im Resultat führte das dazu, dass sich etwa in den Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOK) besonders viele ältere und kränkere, aber auch arbeitslose Versicherte - mit all ihren Gesundheitsrisiken - ansammelten. Um diesem, hier vereinfacht dargestellten Prozess entgegenzusteuern, wurde 1994 ein Risikostrukturausgleich (RSA) eingeführt. Auch nach mehreren Reformen bleibt das Thema ein Zankapfel zwischen den Kassen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
In der Debatte wird der Eindruck vermittelt, als hinge das Wohl und Wehe dieser Kassen nur daran, dass der Ausgleich richtig gut funktioniert. Das tut er offenbar nicht. Zwei neue Gutachten aus den letzten Monaten machten einige Streitpunkte deutlich. Der AOK-Bundesverband positionierte sich am Donnerstag in Berlin zu diesen Fragen. Jens Martin Hoyer vom Vorstand des Bundesverbandes hält es für sinnvoll, künftig alle Krankheiten im Ausgleichverfahren zu berücksichtigen. Denn seit 2009 waren es nur 80 ausgewählte Leiden, die dem RSA den Zusatz »Morbi« einbrachten, als Abkürzung für morbiditätsorientiert. Wenn Kassen mehr Versicherte mit diesen 80 Diagnosen haben, erhalten sie über den Morbi-RSA mehr Geld. Das Kriterium könnte in Zukunft auf alle Krankheiten erweitert werden, und laut Gutachten würden auch Alterszuschläge höher ausfallen.
Die AOK rechnet bei einer solchen Änderung mit geringeren Zuweisungen, befürwortet einen Wandel aber trotzdem. Sie setzt darauf, dass das Verfahren genauer wird, wenn, wie auch von den Gutachtern gefordert, Manipulationsmöglichkeiten reduziert würden. Es sollte dann nicht mehr möglich sein, dass Kassen etwa mit Kodierungen von Krankheiten derart umgehen, dass sie höhere Ausgleichzahlungen bewirken.
Einwände haben die AOK jedoch gegen die Einführung von regionalen Ausgleichskriterien. Die Ergebnisse der Kassen würden nicht durch die regionale Verteilung der Versicherten beeinflusst. Eine Änderung der Zuweisungen nach diesem Kriterium wäre »nicht sachgerecht«. Sie würde hingegen bestehende Über- und Fehlversorgung in Ballungsräumen und strukturschwachen Regionen bundesweit nur zementieren. In der Folge könnte es aus AOK-Sicht mittelfristig zu höheren Ausgaben allein deshalb kommen. Dann würden auch die Beitragssätze steigen. Die Ersatzkassen, zu denen etwa die Techniker und die Barmer gehören, halten die Regionalkomponente hingegen für notwendig. Auch sie setzen darauf, dass die Reform des Morbi-RSA 2019 abgeschlossen wird. Die Gutachten haben das Thema jedoch nicht befriedet, sondern den Streit der Krankenkassen in dieser Frage nur befeuert. Der AOK-Bundesverband sieht die Politik vor der Entscheidung: Will sie wirklichen Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Kassen - bei Strafe vereinzelten Untergangs - oder will sie ineffiziente Kassen genau davor retten?
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