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Für ein einfaches Bild braucht es Extremisten
Sieben Tage, sieben Nächte über das Sinnbild der Extremisten in einer Redaktionsstube
Der Kommentator der »Freien Presse« konnte am Montag das »Sinnbild des sächsischen Problems« vom Redaktionsgebäude seiner Zeitung auf der Chemnitzer Brückenstraße sehen. Denn von dort aus betrachtet »standen rechts die Rechten, links die Linken. In der Mitte: niemand. Und der Hass so groß, dass es eines massiven Polizeiaufgebots bedurfte, damit die Situation nicht unmittelbar eskalierte.«
Zwar schreibt er später im Text noch von den Rechtsextremen, die den öffentlichen Raum besetzen und ihre Macht demonstrieren. Aber im »Sinnbild des sächsischen Problems« dürfen Linke nicht fehlen. Linke, die gekommen sind, um sich der rechten Hatz auf Migranten entgegenzustellen. Linke, die selbst gejagt werden, weil sie in der Unterzahl sind und das »massive Polizeiaufgebot«, von dem der Kommentator schreibt, nicht vorhanden ist. Linke, die womöglich gejagt werden, weil sie Linke, aber gleichzeitig Migranten sind, irgendwo anders Wurzeln haben oder so aussehen, als könnte das der Fall sein. Aber das wäre fürs »Sinnbild« zu kompliziert. Da braucht es »Extremisten« hier und dort, zwischen denen Hass ist, aber kein Sachse.
Nicht von einem Sinnbild, aber einem Bild sprach der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am frühen Montagmorgen in einer Twittermeldung, von dem »Bild unseres Landes« und dem Vorhaben, nicht zuzulassen, dass es »durch Chaoten beschädigt wird«. Er kommt nicht umhin, auch zu schreiben: »Es ist widerlich, wie Rechtsextreme im Netz Stimmung machen und zur Gewalt aufrufen.« Doch dann wird er wieder zitiert mit den Worten: »Wir müssen verhindern, dass Chemnitz Aufmarschgebiet wird von Extremisten aus ganz Deutschland.« Und: »Es sind nicht die Chemnitzer, es sind nicht die Sachsen, es sind Extremisten, denen wir alle miteinander den Kampf ansagen.« Und obwohl er manchmal auch »Rechtsextremisten« sagt - viel lieber sagt er doch »Extremisten«, um Verwechselungen einzuschließen. Verwechselungen zwischen Rechts und Links, statt zwischen Extremisten und Sachsen.
Selbst wenn Kretschmer davon spricht, Täter »auf allen Seiten dingfest« zu machen, kann man sich nicht sicher sein, ob er neben den organisierten rechtsradikalen Menschenjägern die Gewalttäter der Nacht zum Sonntag meint oder doch wieder nur Rechts und Links.
Und so bleibt das Bild ganz heil von dem Sachsen, das sich seinem Problem mit Neonazis und mit dominanten rechten Jugendkulturen, die alle Andersdenkenden, -aussehenden und -seienden in Angst und Schrecken versetzen, immer noch nicht wirklich stellen will.
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