- Politik
- Sachsensumpf
Der selbsternannte Märtyrer der Rechten
Sachsens Exekutive scheint allerlei Personen mit Affinität nach Rechts zu beschäftigten. Der JVA-Mitarbeiter inszeniert sich selbst als Märtyrer
Sachsen wird derzeit von einer Reihe von Skandalen erschüttert. Nun hat der Freistaat seinen nächsten. Ein Justizvollzugbeamter räumt freimütig ein, dass er den Haftbefehl an die rechte Gruppierung »Pro Chemnitz« weitergegeben hat – und lässt sich mit Foto in der »Bild« ablichten. Im Interview geriert er sich als ahnungsloser Märtyrer für die gute Sache.
Natürlich hat »Bild« zuallererst den Mann, der einen Haftbefehl des Amtsgerichts Chemnitz gegen einen mutmaßlichen Täter einer Messerstecherei in Chemnitz mitsamt Adresse und Klarnamen weitergeben hat. Der Mann heißt Daniel Zabel und ist Justizvollzugsbeamter.
Der Haftbefehl kursiert seit Dienstagabend im Internet – verteilt unter anderem von der rechten Gruppe Pro Chemnitz und Pegida-Mitbegründer Lutz Bachmann. Seither war gerätselt worden, wie dieses Dokument an die Öffentlichkeit kam. Denn die Veröffentlichung eines Haftbefehls ist strafbar. Schon zu Beginn war klar, dass der Kreis, derer, die infrage kommen, nur ein äußerst kleiner sein kann – beschränkt auf eine wenige Staatsbedienstete, mit großer Wahrscheinlichkeit aus der Exekutive oder Judikative.
Es wäre nicht das erste Mal in Sachsen, dass es solch einen Skandal gibt. Schon bei der rechtsterroristischen Gruppe Freital gab es höchstwahrscheinlich einen Beamten, der Infos an sie weitergab. Auch Lutz Bachmann rühmt sich seit jeher, dass er gute Behördenkontakte pflegt und auch bei NPD-Kadern gab es schon etwas engere Bekanntschaften in den Staatsapparat hinein. Doch es ist das erste Mal, dass ein Mann aus dem Inneren des Staates sich derart offen zur rechten Szene bekennt. Nicht nur den vollen Namen lässt der Mann abdrucken – sondern sich auch gleich fotografieren, ja, wenn es stimmt, suchte er sogar den Kontakt zur »Bild«. Es ist eine gezielte Inszenierung und eine weitere Enthemmung der Rechten in Deutschland.
Nun also ein JVA-Mitarbeiter und somit Teil der Exekutive. In »Bild« gibt Zabel offen zu: »Ich habe den Haftbefehl fotografiert und weitergegeben«. Namentlich nennt er dort unter anderem auch »Pro Chemnitz«. Er wolle, dass »die Wahrheit und nur die Wahrheit« ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Mögliche Konsequenzen seien ihm bewusst gewesen, ja habe er in Kauf genommen.
Dass er sich damit ganz als Märtyrer für die rechte Sache geriert, zeigt sich auch am weiteren Vorgehen und der Wortwahl des Mannes. Nach dem »Bild«-Artikel ließ er mit großem Sendungsbewusstsein noch eine lange Presseerklärung über seinen Pegida-nahen Anwalt Frank Hannig verbreiten: Mit Phrasen à la: Er wolle, dass ‚die Medien‘ »nicht mehr die Hoheit haben, den tatsächlichen Tatablauf in Frage zu stellen«, und dass die Menschen nicht weiter »belogen« werden. Als Justizvollzugsbeamter sei er »tagtäglich im Brennpunkt eines Geschehens, dass es in unserem Land vor einigen Jahren in dieser Intensität und Weise nicht gegeben hat.« Er habe deswegen mit dem vollen Bewusstsein seinen Job verlieren zu können, den Haftbefehl durchgestochen.
Dass es Rechte waren, die nach der Messerstecherei am Sonntag Fake News verbreitet haben, scheint ihn nicht zu stören. Doch sie waren es, die behaupteten, dass es zwei Tote gegeben habe, obwohl ein Mann verstarb. Sie waren es, die das Narrativ der mutigen Deutschen, die sich gegen die sexuelle Belästigung von Frauen durch »Ausländer« wehrten und deswegen sterben mussten, bedienten, obwohl es auch diesen Übergriff so nicht gegeben hat. Und die Rechten nutzen diese Fake News gezielt, um Stimmung gegen Migrant*innen zu schüren. Auch wie der Mann als Justizvollzugsbeamter, der sehr oft mit sensiblen Daten konfrontiert wird, keine Ahnung davon haben konnte, dass die Veröffentlichung eines Haftbefehls strafrechtlich relevant ist, bleibt offen.
Verbunden ist das Ganze, wie es sich für einen anständigen Märtyrer gehört, natürlich mit einer gehörigen Prise Opfer-Inszenierung: Er habe nun Angst, so Zabel, dass »der Rechtsstaat nicht mehr funktioniert« und er »trotz dieses öffentlichen Geständnisses in Haft genommen werde.« Blöd nur, dass er nur wenige Zeilen vorher selbst schreibt, dass die Veröffentlichung eines Haftbefehls strafbar ist. Auch hier natürlich eine ganz eigene Deutung des »Rechtsstaats«.
Auf der Pegida-Facebookseite findet der Mann mit dieser Rhetorik Anklang: »Hut ab, ein ehrlicher Mensch und dafür wird er bestraft«, ließt man dort. Allerdings fällt manchen auch ein Widerspruch zu der von Rechten sonst gerne bemühten ‚Rechtsstaatlichkeit‘ auf. »Liebe Pegida, ich war und bin auf der patriotischen Seite. Das haben meine vergangenen Posts gezeigt.(..) Aber: Recht bleibt Recht, es hat keinen Sinn einen Rechtsbruch mit einer angeblich höheren Moral zu rechtfertigen. Das werfen wir ja gerade zu Recht der Gegenseite, der Regierung im Speziellen, vor«, schreibt ein Nutzer.
Zabels Arbeitgeber hat ihn freigestellt. Der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple aus Baden-Württemberg bot ihm allerdings schon einen neuen Job an: Als Referent in seinem Büro. Zudem rief Räppele sogar zu weiteren ähnlichen Aktionen auf. »Viel zu viele patriotische Polizisten und Verwaltungsbeamte schweigen«. Pegida jedenfalls scheint darauf zu hoffen, dass der Rechte in Sachsen bleiben kann: »Vielleicht zieht jemand aus Sachsen nach und bietet ihm eine berufliche Alternative an?!« Warum auch weggehen, wo es am Schönsten ist?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.