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Vormarsch der Schattenbanken
Die Industriestaaten haben aus der großen Finanzkrise von 2008 nur halbherzig gelernt
Da sich die Reformen und Regulierungsbestrebungen der Politik auf die regulären Banken konzentrieren, drohen immer mehr Geschäfte in die schwach regulierten Bereiche des Marktes abzuwandern. So behaupten etliche große Banken, schon seit einigen Jahren den Eigenhandel auf eigene Rechnung eingestellt zu haben. Diese Geschäfte wandern dann zu Akteuren wie Hedgefonds, die seit jeher weitgehend unbehelligt an den Finanzmärkten spekulieren. Finanzinstitute, die bankähnliche Tätigkeiten ausüben, ohne der Bankenregulierung zu unterliegen, werden als Schattenbanken bezeichnet. Zu den Schattenbanken gehören finanzielle Zweckgesellschaften, verschiedene Fonds (z. B. Hedgefonds, Private-Equity-Fonds, Geldmarktfonds, Investmentfonds) und Finanzierungsgesellschaften.
Seit der Jahrtausendwende ist der Sektor nach der breiten Klassifikation des FSB (Financial Stability Board 2017) in den untersuchten Jurisdiktionen (28 Staaten und die Eurozone als Ganzes) von etwa 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bis zur Finanzkrise auf etwa 95 Prozent des BIP angewachsen und nach einem krisenbedingten Einbruch inzwischen bei 150 Prozent des BIP angekommen. Das verwaltete Vermögen schätzt der FSB auf 95 Billionen US-Dollar.
Axel Troost ist Ökonom und stellvertretender Vorsitzender der Linkspartei. Er ist Mitbegründer und Geschäftsführer der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Von 2005 bis 2017 gehörte er der Linksfraktion im Bundestag an. Rainald Ötsch ist Ökonometriker und arbeitet für die Linksfraktion im Bundestag.
Der hier dokumentierte Text ist eine leicht gekürzte Passage aus der Broschüre »Chance vertan. Zehn Jahre Finanzkrise und Regulierung der Finanzmärkte - eine Bilanz« von Ötsch und Troost, die in der Reihe »Analysen« der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen ist. Den vollständigen Text finden Sie unter www.rosalux.de/publikation/ id/39182/chance-vertan/. Über diese Internetadresse können auch kostenlose Druckexemplare bezogen werden.
Überproportionales Wachstum verzeichnen die Schattenbanken in den Schwellenländern. In der Eurozone lag der Schattenbankensektor laut ESRB (European Systemic Risk Board 2017) nach der Jahrtausendwende noch bei unter 10 Billionen Euro. Bis zur Krise ist er auf über 15 Billionen Euro gewachsen und hat sich seitdem auf 30 Billionen Euro in etwa verdoppelt. EU-weit kommt der Sektor auf 40 Billionen Euro, das ist ebenfalls doppelt so viel wie beim Ausbruch der Krise und das 2,7-Fache des EU-BIP. Insgesamt entfallen 38 Prozent der vom Finanzsektor gehaltenen Vermögenswerte auf den Schattenbankensektor.
In Deutschland sind Schattenbanken vor allem als Investmentfonds tätig. Davon abgesehen, dass diese Fonds zusehends durch Investitionen in andere Fonds untereinander verflochten sind und dadurch das Risiko einer systemischen Liquiditätskrise steigt (Deutsche Bundesbank 2017), können die Investmentfonds zu den relativ berechenbaren und vergleichsweise gut regulierten Akteuren gezählt werden. Für die hiesige Finanzstabilität ist die geringe Präsenz der aus Sicht des ESRB besonders riskanten Akteure nur bedingt tröstlich, da der deutsche Finanzmarkt durch grenzüberschreitende Geschäfte mit diesen Protagonisten des Schattenbankensektors verbunden ist.
Viele der Schattenbanken-Aktivitäten finden außerhalb der Reichweite der Aufsicht statt: So liegen 60 Prozent der Risikoexpositionen von EU-Banken an den Schattenbankensektor bei Schattenbanken außerhalb der EU. Und bei 90 Prozent der Werte lagen die Risikopositionen bei nicht beaufsichtigten Instituten oder konnten die Gegenparteien nicht identifiziert werden. Dahinter verbirgt sich die Arbeitsteilung des globalen Finanzcasinos mit einer Konzentration auf wenige Schattenfinanzzentren: Laut FSB entfallen vier Fünftel der als besonders riskant eingestuften Schattenbankenaktivitäten auf lediglich sechs Staaten.
Was die Eurozone betrifft, sind Verbriefungsgesellschaften zu 75 Prozent auf Irland, die Niederlande, Italien und Spanien konzentriert (Bundesbank 2014). Die Geldmarktfonds des Euroraums konzentrieren sich laut ESRB zu 97 Prozent in Irland, Frankreich und Luxemburg. Bei Investmentfonds wird etwa ein Drittel des Vermögens von Luxemburg aus verwaltet, je 18 Prozent von Irland (stark steigend) und Deutschland aus, 12 Prozent in Frankreich und 8 Prozent in den Niederlanden. Da Schattenbanken oft in Staaten mit laxer Regulierung angesiedelt sind und daher ein Verbot dieser Unternehmen hierzulande ins Leere liefe, muss eine Regulierung indirekt greifen. Um das Problem der Schattenbankenwirtschaft an der Wurzel zu packen, müssen zuallererst die Schattenfinanzzentren ausgetrocknet werden. Dafür eignen sich die gleichen Mittel wie im Kampf gegen Steueroasen: Abschlagsteuern auf Gewinnübertragungen, Quellensteuern auf Überweisungen oder der Entzug der Banklizenzen für alle Banken, die dort Niederlassungen betreiben.
Die Probleme bei Maßnahmen gegen Schattenbanken sind aber oft die gleichen wie bei Steueroasen. Die EU tut sich schon sehr schwer damit, Schattenfinanzplätze überhaupt als solche zu benennen, nicht zuletzt, weil einige ihrer Mitgliedstaaten selbst dazugehören. Das zeigt die im Dezember 2017 vorgelegte Schwarze Liste von Steueroasen, wo EU-Steueroasen wie Malta, Luxemburg, Irland und die Niederlande von vornherein von der Liste ausgenommen waren und die Hälfte der auf die Liste gesetzten 17 Staaten innerhalb weniger Wochen wieder davon verschwunden war, weil sie vage versprochen hatten, in Zukunft stärker zu kooperieren.
Was die Begrenzung der Aktivitäten in Schattenfinanzplätzen betrifft, ist auch Deutschland nicht durch besonderen Elan aufgefallen. So werden selbst die Steueroasen-Aktivitäten von staatseigenen Banken wie den Landesbanken, der DekaBank der Sparkassen oder der teilstaatlichen Commerzbank toleriert, die dort Hunderte von Tochter- und Zweckgesellschaften betreiben.
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Die zunehmende Durchdringung von Realwirtschaft und Gesellschaft mit Finanzmarktlogik wird als Finanzialisierung bezeichnet. Die bekannte Äußerung von Ex-Bundesbanker Hans Tietmeyer »Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meisten Politiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wie sehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanzmärkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden« auf dem Weltwirtschaftsgipfel 1996 in Davos steht symptomatisch für diese Entwicklung, die auch eine politisch gewollte Selbstentmachtung der Parlamente bedeutet. Die Finanzkrise hat die Schattenseiten dieses Konzepts überdeutlich sichtbar gemacht.
Hat die Politik der letzten zehn Jahre diese Entwicklung umgekehrt? Die UN-Welthandels- und Entwicklungskonferenz (UNCTAD) misst den Grad der Finanzialisierung an drei Variablen: zum einen an der Größe des Finanzsektors, gemessen am Wert der von den Finanzinstituten gehal- tenen Vermögenswerte. Zweitens wird, um das Ausmaß der Internationalisierung der Finanzaktivitäten zu messen, der Wert der grenzüberschreitenden Vermögen und Verbindlichkeiten bestimmt. Drittens dienen die Vermögenswerte der fünf größten Banken als Indikator für Finanzkonzentration und -macht.
Alle Werte werden jeweils in Relation zur Wirtschaftskraft (BIP) gesetzt. Alle drei Größen sind seit den 1990er Jahren in den Industrie- bzw. OECD-Staaten stark angestiegen. Die Größe des Bankensektors und die externen Finanzpositionen erreichen in vielen Staaten ein Mehrfaches der Jahreswirtschaftsleistung. Mit der Krise kam das starke Wachstum zum Erliegen, teils gab es, etwa in Großbritannien, auch scharfe Einschnitte (welche die UNCTAD Bewertungseffekten zuschreibt).
Aber auch wenn einzelne Indikatoren rückläufig sind, zeigt sich insgesamt jedoch eine Stagnation auf hohem Niveau weit über dem Stand vor 1990. Wer die Indikatoren der USA betrachtet, würde kaum auf die Idee kommen, dieses Land wäre das Ausgangszentrum der Krise gewesen.
In Deutschland ist laut UNCTAD der Wert der von Finanzinstituten gehaltenen Vermögenswerte von seinem Vorkrisenhöchststand von über 220 Prozent des BIP auf etwa 150 Prozent des BIP gesunken. Die Vermögenswerte der fünf größten Banken sind von etwa 150 Prozent des BIP auf etwa 90 Prozent zurückgegangen, eine deutliche Schrumpfung. Darin spiegeln sich die Krise der Deutschen Bank und die starke Schrumpfung der mit der Dresdner Bank vereinigten Commerzbank wider.
Ein genauerer Blick auf Deutschland zeigt, dass die Aktiva der Banken knapp unter dem Höchststand von Anfang 2009 liegen (Deutsche Bundesbank 2017). Die von der UNCTAD konstatierte Schrumpfung der fünf größten Banken wurde also von anderen Banken kompensiert. In der Tat haben Sparkassen und Genossenschaftsbanken ihre Anteile stark ausgebaut, während die Antei- le der Großbanken und Landesbanken deutlich geschrumpft sind.
Durch die Struktur des deutschen Bankensektors erklärt sich auch, warum es in Deutschland nach der Krise nicht zur befürchteten Kreditklemme gekommen ist: Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind mit ihren regional ausgerichteten, konservativen Geschäftsmodellen in die Bresche gesprungen.
Die Zahlen in Deutschland müssen vor dem Hintergrund der zunehmenden Europäisierung gesehen werden. Die Finanzmarktgesetzgebung findet vorwiegend auf EU-Ebene statt, und die Bankenunion treibt die Europäisierung weiter voran. Auch durch die vielen grenzüberschreitenden Geschäfte sollte die europäische Perspektive immer ergänzend zur nationalen herangezogen werden. Laut EZB (2017) ist die konsolidierte Bilanzsumme der in der Eurozone heimischen Banken seit 2008 um bescheidene 14 Prozent auf 24 Billionen Euro zurückgegangen.
Die Konzentration ist sogar gestiegen: Die fünf größten Banken der Eurozone vereinen fast die Hälfte (48 Prozent) der von Banken gehaltenen Gesamtvermögenswerte auf sich, 2005 waren es »nur« 42 Prozent. Die gleichzeitig gestiegenen Eigenkapitalquoten und die geringere Hebelung wertet die EZB als Zeichen dafür, dass sich der Bankensektor im Euroraum wieder zurückentwickelt hin zu traditionelleren Geschäftsmodellen. Problematisch sei aber nach wie vor die hohe Anzahl notleidender Kredite in einigen europäischen Staaten und die geringe Profitabilität.
Trotzdem sind die Bilanzsummen in Deutschland und im Euroraum immer noch deutlich höher als in den 1990er Jahren. Da das starke Wachstum vor der Krise vor allem auf das Konto der Großbanken zurückzuführen war, nimmt sich deren Schrumpfung seit der Krise vor diesem Hintergrund eher bescheiden aus. Der Wissenschaftliche Beirat des ESRB kommt zu dem Schluss, dass Europa nach wie vor »overbanked« ist (Pagano 2014).
Demnach ist der europäische Bankensektor so groß, dass er keinen Beitrag zum Wachstum oder gar einen negativen leistet. Unter anderem lockten die gut bezahlten Posten im Bankenbereich zu viele Talente an, die ansonsten in der Realwirtschaft tätig wären, zudem seien zu viele Kredite in den Immobilienbereich geflossen. Zwar würdigt der Beirat die bereits ergriffenen Maßnahmen, hält ihre Effekte jedoch für teilweise unzureichend und weist darauf hin, dass bestimmte Maßnahmen ganz fehlten.
Die begrenzte Konsolidierung im Bankensektor wird zudem vom Wachstum des Nicht-Bankensektors überkompensiert. In Deutschland haben die Aktiva der anderen Finanzinstitutionen (Versicherer, Investmentfonds und sonstige Finanzinstitute) seit 2008 um 60 Prozent zugelegt (Bundesbank 2017), so dass der Finanzsektor insgesamt gewachsen ist. Im Euroraum ist der Finanzsektor seit 2008 von 530 Prozent auf inzwischen 640 Prozent des Eurozonen-BIP gewachsen (European Central Bank 2017).
Zum Bild gehören auch die extremen Finanzoasen wie Luxemburg, wo der Finanzsektor vor allem wegen seiner Investmentfonds das 250-Fache der Wirtschaftsleistung erreicht. Stark aufgebläht ist er auch in Malta, Irland, Zypern und den Niederlanden. Angesichts dieser ernüchternden Zahlen kann von einem Gesundschrumpfen nicht die Rede sein. Selbst die Bundesbankvorstand Andreas Dombret räumte in einer Rede am 27.9.2016 offen ein: »Es bleibt also festzuhalten, dass bereits einige Reformmaßnahmen erfolgreich durchgeführt wurden. Aber das systematische, umfassende Aufräumen ist ausgeblieben.«
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