Weit gereiste Azubis
Sächsische Firma bildet Vietnamesen aus und hofft, dass sie bleiben
Erklärtes Ziel der Ausbildung der neuen Kollegen ist es, dass sie auch nach der Ausbildung ihre berufliche Zukunft im Unternehmen sehen, betonte die Firma. Denn inzwischen fehlt es in Sachsen massiv an Fachkräftenachwuchs.
Während sich die Ausbildungssituation in Ostdeutschland weiter zuspitzt und allein im Maschinenbau vier von zehn Betrieben nicht alle Lehrstellen besetzen können, begannen jetzt beim Familienunternehmen SPS Schiekel Präzisionssysteme GmbH gleich vier angehende Zerspanungsmechaniker ihre Ausbildung. Drei hatten einen langen Anfahrtsweg nach Dohna bei Pirna, wo die Firma für Kunden in Medizintechnik, Automobilbau oder Luftfahrt anspruchsvolle Sonderflansche, Spezialfittings oder Armaturen aus Edelstahl fertigt: Sie flogen direkt aus Vietnam ein.
Rostock. An der Universitätsmedizin Rostock sind 20 vietnamesische Pflegeauszubildende begrüßt worden. Für 16 Frauen und 4 Männer beginne eine dreiwöchige Berufsschulphase, dann starte die Praxis in den Klinikstationen. Laut dem Pflegevorstand der Klinik, Annett Laban, dauert die Ausbildung drei Jahre.
Sie sind bereits Fachkräfte, die Ausbildung in Vietnam sei aber nicht mit der in Deutschland vergleichbar, so Laban. Viele Aufgaben der hiesigen Pflege, auch die Verpflegung der Kranken, übernähmen in Vietnam Familienangehörige. Deshalb lägen die Ausbildungsschwerpunkte in Vietnam z. B. in der traditionellen Medizin in der Behandlungspflege.
Größere Probleme bei der Integration auf den Stationen und im Umgang mit Patienten erwarte Laban nicht. Dies zeigten Erfahrungen mit ausländischen Pflegekräften, zudem sei die Beschäftigung von ausländischen Ärzten gelebter Alltag. dpa/nd
Geschäftsführer Peter Schiekel freut sich sehr über diesen weit gereisten Zuwachs. »Denn inzwischen wird es eben auch in Sachsen immer schwerer, geeigneten Facharbeiternachwuchs zu gewinnen«, so der promovierte Ingenieur, der in Dohna 140 Mitarbeiter beschäftigt. Besonders wichtig ist es ihm deshalb, dass die drei Azubi aus Südostasien auch nach ihrer 3,5-jährigen Ausbildung in der Firma bleiben wollen - und der Bund dazu das gegenwärtig debattierte Fachkräftezuwanderungsgesetz auf den Weg gebracht hat. »Daheim in Vietnam habe ich zwei Jahre darum gekämpft, in Deutschland einen Beruf erlernen und dann auch dort arbeiten zu können«, versichert Lam Pham, der bereits Abitur hat. »Nun bin ich sehr froh, dass es geklappt hat.«
Firmenchef Schiekel ist es vor allem wichtig zu betonen, dass es sich bei dem Trio »um keine Billigarbeitskräfte handelt«. Im Gegensatz zu den 55 000 vietnamesischen Vertragsarbeitern, die ab Ende der 1970er Jahre in der DDR-Wirtschaft als dringend benötigte Arbeitskräfte eingesetzt wurden, bilde man diese zunächst gründlich an drei- und fünfachsigen CNC-Dreh- und Fräsautomaten aus. Natürlich weiß er aber auch, dass die Vietnamesen seinerzeit als die bestintegrierte ausländische Community geschätzt wurden. Sie waren beliebt, galten als fleißig und unkompliziert.
Vermutlich auch vor diesem Hintergrund startete das Bildungswerk der Sächsischen Wirtschaft (BSW) bereits 2014 ein Programm, um gezielt vietnamesische Fachkräfte anzuwerben. Über 30 Vietnamesinnen und Vietnamesen wurden so inzwischen an zumeist mittelständische Betriebe vermittelt. Dass die Firma SPS Schiekel Interesse an dem Projekt zeigte, rührt auch daher, dass die künftigen vietnamesischen Kollegen zum einen sehr gezielt für bestimmte Branchen und technische Berufe ausgesucht werden und zum anderen bereits ganz passabel Deutsch sprechen. Inzwischen gebe es vor Ort in Vietnam »sehr verlässliche Partner, bei denen oft auch noch eine positive Erinnerung an die DDR präsent ist«, berichtet Ilona Weidner, die von Anfang an in das Vorhaben integriert war - anfangs für das BSW, jetzt mit eigener Agentur. Mit dieser betreut sie im Auftrag der Firma SPS Schiekel nun auch in Sachsen die vietnamesischen Azubi weiter intensiv.
Bezahlt würden die Vietnamesen natürlich nach geltenden Lehrlingsentgelttarifen, betont Schiekel. Denn vom deutschen Staat gebe es für sie weder Lohnzuschüsse noch Wohngeld oder sonstige Beihilfen. Darum müssten die jungen Männer von den rund 800 Euro, die die Arbeitsagentur für solche Ausbildungsverhältnisse als Mindestgrenze festgelegt hat, ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sein Betrieb übernehme zunächst die Kosten für ihre Dreier-WG in Dresden und kümmere sich bei Bedarf um sogenannte Seniorexperten. Die bringen ihnen in individuellen Lektionen das spezialisierte Fachdeutsch der Edelstahlbranche bei, wie man es so auf keiner Schulbank erlernt. Und nicht zuletzt organisiere man interkulturelle Schulungen im Unternehmen, um auch die deutschen Mitarbeiter auf die Lebenswelt ihrer vietnamesischen Kollegen vorzubereiten, berichtet Personalchefin Jana Merzdorf.
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