Podemos steht und fällt mit Pablo Iglesias

Die Prinzipien der hierarchiekritischen Empörten-Bewegung finden sich nur ansatzweise in Spaniens danach gegründeter Linkspartei

Am Anfang war die Bewegung, dann folgten Parteigründungen, worunter die Linkspartei Podemos (Wir können es) die wirkmächtigste ist. Inmitten der tiefen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Krise in Spanien begannen am 15. Mai 2011 die Besetzungen öffentlicher Plätze. Es waren vorwiegend, aber nicht ausschließlich, junge Spanier und Spanierinnen, die öffentlich ihren Unmut bekundeten und die verbreitete These widerlegten, unpolitisch zu sein. Spaniens am besten ausgebildete Generation aller Zeiten sah sich um ihre Zukunft gebracht: hohe Jugendarbeitslosigkeit, jobbende Akademiker auf Mindestlohnbasis, Wohnen als längst Erwachsene bei den Eltern zu Hause mangels ausreichendem Einkommen. Tristesse auf allen Ebenen, die Empörung bewirkte.

Die Indignados (Empörten) traten auf den Plan und firmierten ob des Datums 15. Mai auch als Movimiento 15M (Bewegung 15M). Ohne die Basis 15M wäre Podemos nicht entstanden, aber Podemos ist nicht einfach die zur Partei gewordene Bewegung, auch wenn sich anscheinend ein guter Teil der Wählerschaft aus der Empörten-Bewegung speist.

So wenig wie Podemos entstand die 15M aus dem Nichts, sondern wurde durch das Platzen der Immobilienblase 2008 befördert. »Du wirst in deinem ganzen Scheißleben keine eigene Wohnung haben«, war der Slogan der Bewegung V de Vivienda (Wohnung), die sich schon 2006 für bezahlbaren Wohnraum einsetzte, gegen Zwangsräumungen mobilisierte und zu deren prominentesten Aktivisten die derzeitige Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, gehörte.

Was sowohl die Bewegung V de Vivienda als auch die 15M auszeichnete, war das Fehlen von formellen Hierarchien, wie sie für Parteien gängig sind. Jeder spricht für sich selbst und die Regeln der Diskussion werden gemeinsam und im Konsens erarbeitet. Das gemeinsame schöpferische Kollektiv als attraktiver Kern der Bewegung.

Im Umfeld von 15M entstanden in der Folgezeit verschiedene Parteien: 2011 die Ökopartei Equo, 2012 die radikaldemokratische Partido X und schließlich im Januar 2014 Podemos. Bei den Europawahlen im selben Jahr schaffte Podemos auf Anhieb sensationelle acht Prozent.

Podemos ist jedoch von Anfang an alles andere als hierarchiefrei, auch wenn bei den Online-Abstimmungen alle eine Stimme haben und Basisdemokratie als Anspruch hoch gehalten wird. Das Sprachrohr und der Spiritus Rector ist von Anfang an Pablo Iglesias. Er war als Teenager Mitglied der Kommunistischen Jugend und den dort erlebten Führungsstil pflegt er auch bei Podemos. Sein kommunikatives Handwerk lernte er als Moderator von »La Tuerka«, einem politischen Talk im Lokalfernsehen; es folgten Auftritte als Gastkommentator im privaten Fernsehsender La Sexta und beim konservativen Konkurrenzkanal Intereconomía: Dort sezierte der studierte Politikwissenschaftler faktenreich die Krise, in einfachen Worten und prägnanten Formeln und wurde so spanienweit einem breiten Publikum bekannt.

Worum es Podemos geht, wird an einer wiederkehrenden Redewendung deutlich: »cambiar el tablero«, sinngemäß übersetzt mit »die Spielregeln verändern«. »Podemos will sich nicht auf einem bestehenden politischen Feld verorten, sondern erzwingen, dass dieses Feld auf der Grundlage neuer Gegensätze (›oben-unten‹ statt ›rechts-links‹) strukturiert wird«, beschreibt der Spanien-Experte Raul Zelik das politische Projekt von Podemos. Theoretisch orientiert sich Podemos am Linkspopulismus, wie er vom argentinisch-britischen Theoretiker Ernesto Laclau (1935-2014) und der Belgierin Chantal Mouffe in ihrer »post-marxistischen« Sozialtheorie entworfen wurde.

Bei den vorgezogenen Neuwahlen im Juni 2016 sah sich Podemos schon als stärkste linke Partei, landete aber knapp hinter den Sozialdemokraten der PSOE. Und seitdem befindet sich Podemos im Umfragetief. Parteiinterne Streitigkeiten über den Kurs, wie weit sich die Partei in die Mitte bewegen soll, um Regierungsfähigkeit zu zeigen oder Iglesias zu folgen, der wie Fraktionssprecherin Irene Montero, seine Lebenspartnerin, seit einem Jahr wieder »links und rechts« in den Vordergrund rückt. Hinzu kam der umstrittene Villenkauf von Iglesias/Montero, der mit der propagierten Bescheidenheit nicht vereinbar ist. Doch bei der höchsten Beteiligung an einer Online-Abstimmung in der bisherigen Podemos-Parteigeschichte stimmte die Basis im Mai mit 68,4 Prozent für den Verbleib der beiden Führungsfiguren. Podemos steht und fällt somit weiter mit Iglesias und die Empörten gibt es als Bewegung nicht mehr.

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