- Politik
- Folgen aus Chemnitz
Kretschmer bezeichnet AfD als Spalter
Regierungserklärung zu Chemnitz: Sachsens Opposition drängt CDU zu gemeinsamer Stärkung der Zivilgesellschaft
Mit einer Schweigeminute hat Sachsens Landtag des vor anderthalb Wochen in Chemnitz getöteten Daniel H. gedacht. Landtagspräsident Matthias Rößler sprach von einem »furchtbaren Verbrechen«, betonte aber, dass »keine Bluttat rechtsextremen Hass« sowie Gewaltausbrüche rechtfertige. Der CDU-Politiker rief zu Besonnenheit auf: »Zivilisiertheit ist das Gebot der Stunde.« Alles andere, fügte er hinzu, »zerreißt unsere Gesellschaft«.
Dazu, wer diesen Riss gezielt vertieft, äußerte sich in ungewohnter Klarheit CDU-Regierungschef Michael Kretschmer. In Chemnitz habe man »in erschreckender Weise« erleben müssen, wie »aus Worten Taten werden«, sagte er und ging die im Landtag sitzende AfD frontal an. Mit Begriffen wie »Volksverräter« für Politiker und »Merkels Gäste« für Asylbewerber betreibe diese eine »Radikalisierung« der Gesellschaft. Direkt an die AfD-Abgeordneten gewandt, sagte er, die Partei sei »für die Spaltung des Landes zu großen Teilen verantwortlich«. Dem werde man sich entgegen stellen. Anders als ihr Name suggeriert, strebe die Partei »keine Alternative für, sondern eine Alternative von Deutschland« an. Dem, betonte Kretschmer, »werden wir uns alle entgegen stellen«.
In seiner knapp einstündigen Regierungserklärung verurteile der Regierungschef die gezielte Eskalation der Stimmung in Chemnitz, aber auch die mediale Berichterstattung. Mit zunehmender räumlicher Distanz sei ein »besonders pauschales, hartes und oft falsches Urteil über diese Stadt« gefällt worden. Er verwahrte sich zudem gegen Begriffe wie »Mob«, »Pogrom« und »Hetzjagd«, die vor allem im Zusammenhang mit dem großen Aufmarsch von Rechtsextremen am Sonntag nach der Tat gebraucht worden waren. »Diese Worte beschreiben es nicht richtig«, sagte Kretschmer. Während CDU und AfD applaudierten, gab es von LINKE, SPD und Grünen keinen Beifall.
Kretschmer lernt es nicht
Robert D. Meyer über die Regierungsklärung von Sachsens Ministerpräsidenten
Gleiches galt für die Bewertung der Polizeieinsätze vor allem am Montag, als 6000 Demonstranten, darunter viele Nazis, nur 600 Polizisten gegenüber standen. Kretschmer attestierte der Polizei einen »exzellenten Einsatz« und sprach dieser sowie ausdrücklich auch dem in der Kritik stehenden CDU-Innenminister Roland Wöller seine »Achtung« aus. Rico Gebhardt, Fraktionschef der LINKEN, widersprach: »Es war kein erfolgreicher Polizeieinsatz«, sagte er. Wolfram Günther, Fraktionschef der Grünen, sprach von einem »kompletten Planungsversagen«.
In der Aussprache forderten LINKE und Grüne die CDU nachdrücklich auf, sich gegen Rechtsextremismus und für eine starke Zivilgesellschaft einzusetzen. Gebhardt sprach von einem »Bündnis für Humanität«, an dem sich die CDU beteiligen solle; Günther lud dazu ein, an einer »gemeinsamen Plattform für eine starke Zivilgesellschaft« zu arbeiten. Er verwies auf die »gerade gebildete Bewegung ›Wir sind mehr‹«. In sie solle sich die CDU »mit einreihen und sie unterstützen statt zu kritisieren«. Zuvor hatte Kretschmer zu Engagement für die Demokratie aufgefordert und den Rechtsextremismus als »größte Gefahr« für sie bezeichnet. Dagegen müsse man »mit aller Kraft« arbeiten.
Gebhardt äußerte indes Zweifel an der Ernsthaftigkeit solcher Aussagen. Er warf der CDU vor, das Problem des Rechtsextremismus »jahrelang negiert« zu haben. Kretschmer bescheinigte er zwar, zeitweise klare Position zu beziehen. Er erinnerte an Auftritte des Ministerpräsidenten beim Friedensfest in Ostritz oder einer Gewerkschaftskundgebung am 1. Mai in Chemnitz, die sich beide gegen Nazi-Veranstaltungen richteten. Gebhardt warf dem Ministerpräsidenten aber vor, er sei »nur dann offensiv, wenn sie damit beim aktuellen Publikum punkten können«. Als es beim »Sachsen-Gespräch« in Chemnitz vergangene Woche Kritik an dem von ihm zuvor gelobten »Wir sind viele«-Konzert mit Bands wie »Kraftklub« und den »Toten Hosen« gegeben habe, habe Kretschmer geäußert, er könne das Konzert ja nicht verbieten. Gebhardt erklärte zudem, er vermisse ein deutliches Engagement bei vielen anderen Politikern der CDU. Für viele in der Partei »steht der Feind immer noch links und nicht rechts«.
Etliche Redner drängten in der Debatte auf Unterstützung für Chemnitz und die dortige Bevölkerung. Die »Spaltung der Stadt« werde nicht mit Demonstrationen überwunden, »so wichtig es ist, jetzt Flagge zu zeigen«, sagte die Chemnitzer SPD-Abgeordnete Hanka Kliese. Sie warb für verstärkten Dialog in der Stadtbevölkerung. Man habe es »jetzt in der Hand, woran man sich in zehn Jahren beim Gedanken an Chemnitz erinnert: an einen Schandfleck oder an einen positiven Wendepunkt.«
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