Werbung

Wie sie ihre Haut zu Markte tragen

Johanna Hasse inszenierte »Zenit« im Theater unterm Dach

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Wie kreisende Planeten umtanzen sie das Objekt der Begierde in ihren trichterförmigen weißen Umhängen. Haben sie den Zenit schon überschritten und nicht erkannt? Fehlt nur noch ein kleines Stück zum Glanzpunkt ihrer Karriere? Weiß der Himmel. Sie wissen es nicht. Das ist aus ihrer Sicht schließlich ein bewegliches Ziel.

Dann stehen sie in unansehnlichem Unterkleid da und wirken verloren. So, als wären sie lieber woanders. Irgendwo, wo keine Leute sind und vor allem keine Spiegel. Es geht nämlich zur Bestandsaufnahme. Können sie sich sehen lassen?

Die zwei Schauspielerinnen mäkeln an sich herum. Die Haut werde schlaff an den Oberarmen, der Hals irgendwann faltig. Dann sähe man aus wie eine Eidechse, knurrt die Ältere. Auf sogenannte Weisheiten wie »man soll das mit dem Alter annehmen« kann sie getrost verzichten. Sie findet es geradezu höhnisch formuliert. Die Jüngere hadert unter anderem mit der Form ihrer Brüste. Muss man eben ablenken. Die Beine sind dafür gut gemacht. Tja, beide Frauen haben so ihre Tricks, Mängel zu kaschieren. Darin muss man eben mit der Zeit immer besser werden. Das ist eine Kunst für sich. Schließlich wird von ihnen erwartet, dass sie perfekt sind. Gelernt ist gelernt. Selbstoptimierung gehört zum Geschäft.

Mit ihrer Inszenierung »Zenit« im Theater unterm Dach öffnet Regisseurin Johanna Hasse die Tür des Schauspielerinnenlebens in der freien Szene einen Spalt. Wie ist es, seine Haut zu Markte zu tragen? Der Wettbewerb ist unbarmherzig. Wie fühlt es sich an, mit unzähligen anderen für eine einzige Rolle beim Casting zu sein, wo plötzlich ein Text verlangt wird, von dem vorher keine Rede war?

Hasses Textrecherchen tragen biografische Züge ihrer Darstellerinnen Iduna Hegen und Melissa Anna Schmidt. Aus verschiedenen Generationen kommend haben sie ein Ziel, aber unterschiedliches Herangehen. »Welche Marke bist du?«, fragt Schmidt als Jüngere die Ältere und rückt mit einer Webcam an, um ein »About you« mit ihr zu produzieren. Sie will sich aber nicht in die Schublade packen lassen, nur einen Charakter spielen zu können. Das mit dem Selbstdarstellungsangebot vor der Kamera funktioniert nicht. Nein, sie will nicht das Gefühl haben, sich zu verkaufen. Zu diesem Schluss kommt die Jüngere letztlich auch, nachdem sie vom Casting erzählte und von kunstfremden Jobs, um sich zu finanzieren.

Für die Ältere spielt mitunter schon der Ort mit dem völlig übertriebenen Namen Jobcenter eine Rolle, wo sie eine persönliche Beraterin zugewiesen bekommt, die vierteljährlich wechselt. Beide Künstlerinnen wollen arbeiten und sind dafür bereit, Kompromisse einzugehen. Doch nicht jeden. Und man sieht, dass sie trotz des Ungemachs niemals bereit wären, ihre künstlerische Berufswahl zu bereuen. »Für mich soll's rote Rosen regnen ...«, lassen sie hören. Träumen darf man. Schönes Gefühl. Nach der Premiere regnete es jedenfalls großen Applaus.

Bei allem Ernst in der Sache, das Publikum mal zu den Arbeitsbedingungen samt kleiner Auseinandersetzungen in die Kulissen gucken zu lassen, prägt Tragikomik das Stück. Das spricht für die Professionalität der beiden Darstellerinnen, die fähig sind, sich selbst hochzunehmen. Gut aufgehoben können sie sich dabei fühlen in der durchdachten Ausstattung von Martina Schulle und dem pointiert gesetzten Licht durch Thomas Schick.

Regisseurin Hasse gelang das Stück mit 90 Minuten ohne Längen. Sie baute geschickt inszenierte Szenen ein, die vorgeben, als würden die Darstellerinnen musikalisch improvisieren. Sieht aus, als ließen sie sich gern dazu anregen. Es gelingt ihnen nämlich äußerst witzig dank eines geräuschintensiven Sitzmöbels. Der Abend ist stimmig.

Nächste Aufführungen: 22., 23. September, 20 Uhr, Theater unterm Dach, Danziger Straße 101, Prenzlauer Berg

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -