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Weniger, langsamer, aufmerksamer
Wie der Verkehr in der Stadt sicherer werden könnte, beschäftigte den Innenausschuss
Wenn Berlin ein augenfälliges Sicherheitsproblem hat, dann im Straßenverkehr - oder treffender vielleicht dort, wo im öffentlichen Raum die Interessen und Ansprüche der verschiedenen Verkehrsteilnehmer aufeinandertreffen. Um die Probleme der Sicherheit im Straßenverkehr ging es am Montag bei einer Anhörung im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses, zu der die Abgeordneten Experten des Landesseniorenbeirates, des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) Berlin-Brandenburg, des Fachverbandes Fußverkehr (FUSS) sowie der Landesverkehrswacht eingeladen hatten.
Die wohl dramatischste Zustandsbeschreibung der aktuellen Situation auf Berlins Straßen lieferte ADAC-Experte Jörg Becker. Er sprach von einem »akuten Sicherheitsproblem« und benannte gravierende Defizite im Bereich der innerstätischen Verkehrsknotenpunkte, bei den Lichtsignalanlagen, die den rechts- und linksabbiegenden Verkehr regeln, sowie bei den Fahrbahnmarkierungen vor allem dort, wo sich Auto- und Fahrradverkehr begegnen. Ein besonders gravierendes Problem seien weiterhin fehlende Assistenzsysteme wie etwa »Tote-Winkel-Warner« für Lkw.
Nach Einschätzung Beckers bestimmt zunehmend ein aggressives Verhalten das Verkehrsklima in der Stadt - automobile Raserei, bewusstes und provozierendes Negieren der Straßenverkehrsordnung durch Radfahrer und »erschreckend abnehmende Vorbildwirkung« durch ältere Fußgänger, die Missachtung von roten Ampeln und Fußgängerschutzwegen. Im Berliner Straßenverkehr spiegle sich das gesamtgesellschaftliche Klima wider. Lösungsansätze sehe der ADAC in einer Stärkung des Instruments der Verkehrsunfallkommission, einem Förderprogramm von Bund und Ländern, um die Wirtschaft zur Nachrüstung der Lkw-Flotten mit Assistenzsystemen zu motivieren, und einer Intensivierung der Ahndung von Regelverstößen.
Der ADAC-Experte warf der Politik eine unzureichende Abwägung der Mobilitätsinteressen in der Bevölkerung vor - seine Kritik richtete sich insbesondere gegen die mangelnde Berücksichtigung des Autoverkehrs und seiner spezifischen Probleme im neuen Mobilitätsgesetz.
Für die Interessen der Fußgänger warf sich Roland Stimpel, Pressesprecher des Fachverbandes »FUSS«, in die Bresche. Er machte auf die zunehmende Konkurrenz aufmerksam, der sich die Fußgänger als »größte Randgruppe im Straßenverkehr« in ihrem Verkehrsraum ausgesetzt sehen. Alle drei Wochen sterbe inzwischen im Straßenverkehr ein Fußgänger, wobei die Mehrzahl der Unfälle schlicht der Überforderung von Verkehrsteilnehmern geschuldet sei. Sein Verein fordere als wichtigsten Beitrag zur Unfallprävention, dass der Straßenverkehr insgesamt einfacher, übersichtlicher und langsamer werden müsse. Scharf wandte sich Stimpel gegen den »Gehweg-Missbrauch« durch Fahrradfahrer, Schwarzparker und Gastronomie. Er forderte ein Bußgeld von 60 Euro gleich dem für Schwarzfahrer im Öffentlichen Personennahverkehr zu kassieren.
Ganz ähnlich sehen die Forderungen des Berliner Landesseniorenbeirates aus. Vorstandsvorsitzende Evelin Lämmer sprach davon, dass gerade viele Senioren, also ganz normale Menschen ab einem Alter von 60 plus, mittlerweile Angst davor hätten, zumindest zu bestimmten Tageszeiten das Haus zu verlassen, weil sie befürchteten, von Radfahrern angefahren zu werden, nicht schnell genug über die Straße zu kommen. Ihnen drohe der Verlust an gesellschaftlicher Teilhabe und am Ende Vereinsamung. Das treffe in wachsendem Maße zu, wenn Menschen mit alters- oder krankheitsbedingten Einschränkungen klarkommen müssten.
Laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) war Berlin 2017 das Bundesland mit den wenigsten Verkehrstoten je eine Million Einwohner. Bei leicht gestiegenen Unfallzahlen seien in der Stadt 36 Menschen bei Verkehrsunfällen gestorben (2016: 56), im laufenden Jahr waren es bislang 29. Besonders gefährdet seien Kinder, junge Erwachsene und Senioren.
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