EU-Gericht schwächt Kirchenrecht
Fast zehn Jahre dauert die Odyssee eines entlassenen Mitarbeiters einer katholischen Klinik vor deutschen Gerichten bereits. Der katholische Chefarzt hatte nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau 2008 erneut standesamtlich geheiratet. Als sein Arbeitgeber, eine dem Erzbistum Köln unterstehende Düsseldorfer Klinik, davon erfuhr, wurde er gekündigt. Der Mediziner habe durch die Schließung einer nach katholischem Recht ungültigen Ehe gegen seine Loyalitätspflichten verstoßen, hieß es zur Begründung. Dagegen klagte der Arzt, der seit über 18 Jahren und auch heute noch in dem Krankenhaus arbeitet. Vor dem Arbeitsgericht, dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte er zunächst Recht bekommen, das Bundesverfassungsgericht hob das BAG-Urteil jedoch auf, weil die grundgesetzlich verbriefte Autonomie der Kirchen nicht genügend berücksichtigt worden sei.
Am Dienstag entschied nun der Europäische Gerichtshof (EuGH) über den Fall und stellte fest, dass die Kündigung eine verbotene Diskriminierung darstellen kann. »Die Anforderung an einen katholischen Chefarzt, den heiligen und unauflöslichen Charakter der Ehe nach dem Verständnis der katholischen Kirche zu beachten, erscheint nicht als wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung«, urteilten die Luxemburger Richter und verwiesen den Fall zurück an das deutsche Bundesarbeitsgericht.
Da die Beachtung des kirchlichen Eheverständnisses an der Klinik nur von Katholiken gefordert wurde, hatte der EuGH zu entscheiden, ob kirchliche Arbeitgeber an Mitarbeiter ihrer eigenen Kirche strengere Maßstäbe anlegen dürfen als an Andersgläubige und Konfessionslose. Laut Urteil ist eine derartige Ungleichbehandlung zwar nicht ausgeschlossen, sie müsse aber »Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein können« und liegt damit nicht im Belieben der Kirche.
Die Gewerkschaft ver.di begrüßte die Entscheidung und forderte weitergehende Änderungen im kirchlichen Arbeitsrecht. »Die kirchlichen Sonderrechte sind längst nicht mehr zeitgemäß. Die Beschäftigten in konfessionellen Einrichtungen müssen dieselben Rechte haben wie Beschäftigte anderswo«, erklärte Gewerkschaftssekretär Mario Gembus. »Das gilt sowohl für das individuelle Arbeitsrecht als auch für das Recht auf kollektive Interessenvertretung in Form von Tarifverträgen und Betriebsräten.«
Ähnlich äußerte sich Jutta Krellmann, Sprecherin der LINKEN für Mitbestimmung und Arbeit: »Bei Arbeitnehmerrechten darf es keine Sonderrolle der Kirchen geben«, sagte sie am Dienstag. Entscheidend sei die Qualifikation der Beschäftigten, nicht ihr privater Lebenswandel. »Es wurde Zeit, dass die katholische Kirche in ihre Schranken verwiesen wird und damit endlich im 21. Jahrhundert ankommt. Ein Krankenhaus ist kein Kloster.«
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz zeigte sich hingegen unzufrieden mit dem Urteil: »Die verfassungsrechtliche Position, die den Kirchen nach dem Grundgesetz zukommt«, sei »nicht ausreichend berücksichtigt« worden. Es sei »Sache der Kirche, nicht der staatlichen Gerichte, im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechts aus ihrer religiösen Überzeugung heraus selbst festzulegen, welche Loyalitätserwartungen sie an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellt«. Kommentar Seite 4
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