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Die Grenzen der Darstellbarkeit

Filme und Zeitzeugengespräche: Die Reihe »SHOAH« im Babylon Mitte

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Weihnachten im zerstörten Berlin des Jahres 1945: Die zerborstenen Fenster einer Wohnung sind notdürftig mit Röntgenbildern zugepappt, damit eine KZ-Überlebende und ein traumatisierter Kriegsarzt sich in ihrer Behausung vor Kälte und Wind schützen können. Doch die Einstellung - sie stammt aus dem ersten deutschen Nachkriegsfilm überhaupt, Wolfgang Staudtes »Die Mörder sind unter uns« - hat auch Symbolcharakter, mahnen die geröntgten Torsos und Knochen doch auch an die Opfer des Krieges, die unter Trümmern verschüttet liegen oder deren Überreste in den Krematorien der Todeslager sogar komplett vernichtet wurden.

Zu sehen ist dieser Klassiker von 1946 mit Hildegard Knef in der Reihe »SHOAH, Filme und Zeugen - 50 Filme aus über 75 Jahren«, die bis 30. September im Babylon Mitte läuft. Jede filmische Beschäftigung mit Zweitem Weltkrieg und Holocaust sagt viel über ihre Entstehungszeit, ihre Herkunft und ihre Macher aus. Bestenfalls sorgt sie für einen Dialog. So präsentiert das Babylon täglich erstmals eine Serie bislang nicht im Kino vorgeführter Videointerviews mit Holocaustüberlebenden aus ganz Europa sowie Publikumsgespräche mit Historikern und Filmemachern.

Dass Filme über den Holocaust sich immer die Frage nach den Grenzen der bildlichen Darstellbarkeit stellen müssen, wusste niemand besser als der im Juli verstorbene französische Dokumentarfilmer, Autor und Résistancekämpfer Claude Lanzmann (1925-2018). Sein filmhistorisch bedeutendes Werk stand ganz im Zeichen des Widerstands gegen Vergessen, Revisionismus und Relativierung.

An seinem neunstündigen Meisterwerk »Shoah« (1985) arbeitete Lanzmann elf Jahre lang. Es lässt Überlebende, Täter und Zeitzeugen zu Wort kommen und findet eine eigene, eindringliche Bildsprache. Für Marcel Ophüls war der Film »der größte Dokumentarfilm über zeitgenössische Geschichte, der je gedreht wurde«. Das Babylon zeigt alle Lanzmann-Filme, darunter auch »Sobibor, 14. Oktober 1943, 16 Uhr« (2001) über den Aufstand von Insassen des gleichnamigen Vernichtungslagers oder »Der Karski-Bericht« (2010) über den polnischen Diplomaten Jan Karski, der US-Präsident Roosevelt 1943 vergeblich um Hilfe für die Juden Europas bat.

Wenn Spielfilme sich mit dem Thema der Shoah beschäftigen, schildern sie meist Einzelschicksale, um die abstrakt anmutende Zahl von sechs Millionen jüdischen Opfern fassbar zu machen. So verfilmte Vittoria de Sica 1970 in sonnendurchfluteten Bildern Giorgio Bassanis Roman »Der Garten der Finzi Contini«, der von der unerwiderten Liebe des jungen Giorgio zu der schönen Micol (Dominique Sanda) erzählt. Die junge jüdische Frau zieht sich ab 1938 wegen der antisemitischen Gesetze im faschistischen Italien in ihren prächtigen Garten zurück, während ihre assimilierte Familie die Gefahr unterschätzt. De Sica bindet die Liebesgeschichte in den bedrohlichen politischen Kontext ein und unterstreicht die Leerstelle, welche die Deportation der Figuren in der Stadt hinterlässt.

Gilt »Die Mörder sind unter uns« als erster antifaschistischer Film im Nachkriegsdeutschland, behandelt Kurt Maetzigs DEFA-Drama »Ehe im Schatten« (1947) erstmals ein jüdisches Schicksal in der NS-Zeit. Eine jüdische Schauspielerin erhält ab 1933 Auftrittsverbot, und als ihr nichtjüdischer Mann, ein erfolgreicher Bühnenstar, Jahre später dem Druck der Nazis widersteht, sich von ihr scheiden zu lassen, werden beide in den Selbstmord getrieben. Dieser auf der authentischen Geschichte des Schauspielers Joachim Gottschalk basierende Film schildert anschaulich die Dynamik von Distanzierung, Isolierung und Selbstgerechtigkeit durch Bekannte des Paars.

Unter den vielen Klassikern der Filmreihe sind auch Agnieszka Hollands »In Darkness«, Andrzej Munks »Die Passagierin« oder Konrad Wolfs »Sterne«. In solch eine ernste Thematik Humor zu bringen, schaffte neben Charlie Chaplin (dessen »Der große Diktator« hier fehlt) nur noch der Ur-Berliner und Meister des verschmitzten Humors Ernst Lubitsch. So darf man in seinem US-Spielfilm »Sein oder Nichtsein« (1942) herzlich darüber lachen, wie eine Truppe polnischer Schauspieler die SS-Besetzer in Warschau übertölpelt, ebenso wie über die legendäre Hitlergruß-Parodie »Ich heil mich selbst«.

»SHOAH, Filme und Zeugen - 50 Filme aus über 75 Jahren« im Babylon-Mitte, bis zum 30. September. https://babylonberlin.eu/programm/festivals/shoah-filmtage

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