»Die Antifa kam ins öffentliche Bewusstsein«

Historiker Mark Bray über antifaschistische Politik in den USA unter Trump

  • Max Böhnel
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor etwas mehr als einem Jahr ermordete ein Neonazi während antirassistischer Proteste die Aktivistin Heather Heyer. Welche Auswirkungen hatte ihr Tod auf die antifaschistische Bewegung in den USA?

Nach dem Mord an Heather Heyer in Charlottesville vergangenes Jahr wurde Antifaschismus - und ganz besonders der Begriff »Antifa« - zum Teil des politischen Mainstream-Diskurses. Die antifaschistische Bewegung, ihre Ziele und Aktionsformen traten ins öffentliche Bewusstsein. Gleichzeitig stieg das Interesse von jungen Linken und radikalen Aktivisten, sich in antifaschistischen Gruppierungen zu organisieren. Der augenscheinlichste Wandel, den Heathers Tod nach sich zog, waren also mehr Öffentlichkeit, ein größerer Bekanntheitsgrad und ein wachsendes Verständnis für die Antifa.

Mark Bray

Mark Bray ist Historiker und politischer Aktivist. Der Wissenschaftler lehrt am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire. Er ist Autor mehrerer Bücher, darunter »Antifa. The Anti-Fascist Handbook« (Antifa. Das antifaschistische Handbuch). Das Buch erschien im vergangenen Herbst und gibt einen Überblick über die Bewegung. Mit Bray sprach für »nd« Max Böhnel. 

Worin zeigte sich dies noch?

Vor Charlottesville war die Medienberichterstattung über antifaschistische Aktivitäten sehr abwertend. Sie stellte Antifaschismus und Faschismus meist gleich. Nach Charlottesville veränderte sich dieses Narrativ bei einigen Medien für eine Weile. Der Grund war wohl, dass Trump diesen berüchtigten Kommentar von den »guten Menschen auf beiden Seiten« abgegeben hatte - was den Medien sauer aufstieß. Die Strategie und Taktik der bereits bestehenden Antifa-Gruppen hatte Heathers Tod jedoch nicht verändert.

Wie war der Zustand der Bewegung in den Jahren vor Trump?

Die US-Bewegung hatte sich in den späten 1980er Jahren von Antifa-Aktivitäten in England und Deutschland inspirieren lassen. Es entstand das autonome Netzwerk »Antiracist Action«, das in den 1990er Jahren Hunderte von Gruppierungen vereinte, nationale Treffen ins Leben rief und auch Geld für Gefangene sammelte. In den Nullerjahren schrumpfte es wieder. Nachfolger war das kleinere »Torch«-Netzwerk, ebenfalls autonom organisiert. Von 2010 bis 2012 standen antifaschistische Aktivitäten und Organisationsarbeit auf der Prioritätenliste radikaler Linker aber weit unten.

Warum?

In großen Teilen der US-Linken herrschte Unverständnis darüber, weshalb man sich zur Zeit des ersten afroamerikanischen Präsidenten Barack Obama ausgerechnet auf den Kampf gegen Rechtsextreme konzentrieren solle. Antifaschismus war damals in der radikalen Linken ein Randphänomen. Das ändert sich aber schnell mit dem Aufkommen der »Alt-Right«-Bewegung und mit dem Trump-Wahlkampf in 2015 und 2016.

Trump führte zur Wiederbelebung von antifaschistischem Engagement?

Viele neue Antifa-Gruppen entstanden als Reaktion auf Trump und die »Alt-Right«. Verallgemeinernd kann man sagen, dass der Aufstieg und Niedergang von antifaschistischer Organisationsarbeit in den USA direkt zusammenhängt mit dem Aufstieg und Niedergang der extremen Rechten.

Wie bewertet die Antifa die Trump-Regierung?

Die Trump-Regierung wird von den einen als faschistisch, von anderen als rechtspopulistisch eingestuft. Antifa und Antifaschisten in den USA umfassen ja inzwischen allerlei Linke, also Anarchisten, Sozialisten und Kommunisten unterschiedlichster Couleur. Es gibt keine einheitliche Definition.

Welche faschistischen Bedrohungen sind aus Antifa-Sicht derzeit am gefährlichsten in den USA?

Die rechte Gewalt hat zugenommen in den vergangenen Jahren, besonders seit Trumps Wahlkampf. Es gab seit dem sehr viel mehr antisemitische und antimuslimische Übergriffe, Angriffe auf queere und Trans-Menschen, auf Linke. Ich sehe zwei Arten von Gefahren. Die offensichtlichste ist die physische Gewalt. Die Gruppe »Atomwaffen-Division« zum Beispiel hortete Bombenbaumaterial und plante ernsthafte Anschläge. Neben explizit faschistisch-nazistischen Gruppen wie dieser gibt es die »Identitären«. Ihrer Ideologie zufolge sehen sie sich im Recht, Identitätspolitik beziehungsweise Nationalismus für Weiße zu propagieren. Schwarze dürften dies ja auch. »Identity Evropa«, eine ihrer Organisationen, versucht, sich an Universitäten zu etablieren. Wenn sie nicht aufgehalten wird, ist eine gewaltige Einflussnahme auf entfremdete weiße Menschen zu befürchten. Es gab zudem Versuche, die »Traditionalist Workers Party« zu stärken, die mit der angeblichen Arbeiternähe des Faschismus warb. Aber die Partei fiel wieder auseinander.

Wie gefährlich ist die »Alt-Right«?

Unter dem weitgefassten Begriff »Alt- Right« bewegen sich verschiedenste rechtsextreme Gruppierungen und Tendenzen. Dazu kommen rechte Libertäre und »Incels«, frauenfeindliche, weiße, heterosexuelle Internet-Subkulturen. Der rechte Aktivist Richard Spencer hatte den Begriff »Alt-Right« ursprünglich mit dem Ansinnen geprägt, sich von Ku-Klux-Klan-Roben und Naziuniformen zu distanzieren. Mit der Modernisierung von rechtsextremistischem Gedankengut wollte man US-Jugendliche rekrutieren. Seit Charlottesville ist diese Rekrutierungsfähigkeit aber stark zurückgegangen. Jetzt wird »Alt-Right« vom Mainstream ziemlich klar mit »Nazis« gleichgesetzt.

Welche Bedeutung haben der »Alt Right« zugerechnete militante Gruppen wie die »Proud Boys«?

Die »Proud Boys« sind eine frauenfeindliche, westlich-chauvinistische Organisation von hauptsächlich wütenden jungen Männern. Vor Kurzem demonstrierte eine »Proud-Boys«-Gruppierung in Portland im Bundesstaat Oregon zusammen mit einer anderen rechtsextremen Gruppierung namens »Patriot Prayer«. Beide haben zusammen versucht, militant in Erscheinung zu treten. Es gab in den letzten Monaten mehrere Straßenschlachten solcher Gruppen mit Antifaschisten, besonders im pazifischen Nordwesten der USA. Das sind gefährliche Gewaltgruppierungen, die sich auf der Straße austoben wollen - jenseits der Bombenbastler und derjenigen, die Waffen einsetzen wollen.

Welche Bündnispolitik verfolgt die US-Antifa gegen solche Umtriebe?

Sie versucht, so breite Bündnisse wie möglich aufzubauen. Erst im August ging in Washington ein breites Bündnis gegen die faschistischen »Unite the Right 2«-Proteste auf die Straßen. Unter den Gegendemonstranten befanden sich Einzelgewerkschaften, »Black Lives Matter«-Unterstützer sowie linke und liberale Menschen. Aber solche Bündnisse und Demonstrationen reichen bei Weitem nicht aus.

Was braucht es noch?

Ein probates Mittel ist zur Zeit das »Doxxing«, mit dem die Daten von Nazis, Faschisten und anderen Rechtsextremen veröffentlicht werden. Eine Grund, weshalb die Teilnehmerzahl der Faschistendemonstration »United the Right 2« so klein war, bestand in der Tatsache, dass einige führende Nazis ihren Anhängern von der Teilnahme abgeraten hatten. Sie könnten ihre Jobs verlieren, so die Warnung. Das »Doxxing« hatte bereits nach Charlottesville Erfolge gezeigt, als Teilnehmer feststellen mussten, dass ihnen gekündigt worden war. Man hatte Bilder und Fotos von ihnen veröffentlicht, Familienmitglieder distanzieren sich.

Wird in der US-Antifa Bewaffnung diskutiert?

Es gibt ein Netzwerk von Aktivisten namens »Redneck Revolt« in mehreren US-Bundesstaaten, in denen die Schusswaffengesetzgebung Bewaffnung zulässt. Die Gruppe bezieht sich auf die Tradition etwa der »Black Panther Party« in den 1960er und 1970er Jahren mit Bezug auf eine revolutionäre Unterklassenpolitik und bewaffnete Selbstverteidigung. Ein Großteil ihrer Aktivitäten besteht in der Waffenausbildung in zugelassenen Clubs. »Redneck Revolt« rekrutiert unter anderem auf Waffen-Messen neue Unterstützer. Das Monopol der extremen Rechten in der Waffenkultur soll so letztlich zurückgedrängt werden. Das Netzwerk war vor zehn Jahren gegründet worden, versackte dann und ist vor gut drei Jahren wieder auferstanden. Heute hat es wachsenden Zulauf.

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