Linke Bündnisse rufen für Herbst zum Protest auf

»Seebrücke«, »unteilbar«, »We'll Come United« und »ausgehetzt« wollen Zehntausende auf die Straßen bringen

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 4 Min.

Die vergangenen Tage ließen nicht nur in Deutschland viele Menschen schockiert zurück. Der Fake-News verbreitende Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen wurde trotz Rücktrittsforderungen befördert, sein Unterstützer Horst Seehofer darf als CSU-Innenminister das Land weiter spalten. Der Widerstand gegen die soziale Kälte und autokratische Wandlung gewinnt jedoch an Fahrt. Vertreter der Netzwerke und Bündnisse »ausgehetzt/NoPag«, »Seebrücke«, »unteilbar« und »We'll Come United« riefen am Donnerstag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in der Berliner Volksbühne für die kommenden Wochen zu Protesten auf. Großmobilisierungen mit Zehntausenden Menschen sind in Berlin, Hamburg und München geplant. Es solle ein »Herbst der Solidarität« werden. Eine thematisch breite und progressive Bewegung scheint sich zu sammeln und auf die Straße zu streben.

Die erste Großdemo findet am 29. September unter dem Motto »Vereinigt gegen Rassismus« in Hamburg statt. Das Netzwerk »We'll Come United« plant die antirassistische »Parade«, 25 000 Teilnehmer werden erwartet, über 400 Initiativen haben dafür aufgerufen. »Die besonderen Probleme der Geflüchteten wie Abschiebungen oder das Leben in Lagern stehen bei uns Vordergrund, aber es geht nicht nur darum«, sagt Newroz Duman, die Sprecherin von »We'll Come United« gegenüber »nd«. »Wir wollen, dass alle, die hier leben, die gleichen sozialen Rechte haben - auch Geflüchtete werden bei Zeitarbeitsfirmen ausgebeutet oder haben Probleme, eine Wohnung zu finden.«

Für den 3. Oktober - elf Tage vor der bayerischen Landtagswahl - rufen im Anschluss das Netzwerk »ausgehetzt« sowie das Bündnis »NoPag« (Nein zum Polizeiaufgabengesetz in Bayern) zu einer Großdemonstration unter dem Motto »Gemeinsam gegen die Politik der Angst« in München auf. »Die Menschen in Bayern wollen zeigen, dass sie sich nicht von der nach rechts kippenden Politik vereinnahmen lassen«, sagt Heike Martin, die Sprecherin von »ausgehetzt«. »Im Gegenteil sind sie solidarisch mit allen, die Diskriminierung und Rassismus ausgesetzt sind.« Bereits im Mai gingen rund 40.000 Menschen in der bayerischen Landeshauptstadt gegen das neue autoritäre Polizeiaufgabengesetz auf die Straße, im Juli 40.000 gegen die Politik der CSU-Landesregierung, Mitte September 10.000 für bezahlbare Mieten.

Die vermutlich größte Demonstration wird dann am 13. Oktober in Berlin vom »unteilbar«-Bündnis abgehalten. Über 5000 Organisationen und Einzelpersonen unterstützen den Aufruf »für eine offene, freie und solidarische Gesellschaft«, Zehntausende Teilnehmer werden erwartet. Neben Bürger-, Menschen- und Flüchtlingsrechten betonen die Veranstalter auch die soziale Frage. »Sozialpolitische Themen und der Einsatz für Feminismus und Antirassismus sind definitiv kein Widerspruch«, sagt Anna Spangenberg, die Sprecherin von »unteilbar«, gegenüber »nd«. So gebe es unter anderem einen feministischen Block auf der Großdemonstration, aber auch Blöcke von Mieterorganisationen, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und von Gewerkschaften. »Unser Ziel ist es, die verschiedenen Menschen, die sich engagieren, sichtbar zu machen, zu zeigen, dass wir mehr sind und zu zeigen, dass wir unteilbar sind.«

Neben den Großmobilisierungen plant auch die »Seebrücke«-Bewegung in den kommenden Wochen weitere Proteste. Seit dem Sommer gehen Tausende mit der Farbe Orange bundesweit auf die Straße. Die Demonstranten fordern die Aufnahme von Geflüchteten, die Entkriminalisierung der Seenotrettung sowie die Etablierung von solidarischen Städten. »Wenn die Europäische Union bei der Aufnahme von Flüchtenden versagt, müssen nun die Städte handeln«, sagt Isabell Kramer, die Sprecherin von der »Seebrücke Berlin«. »Wir sehen es aber kritisch, wenn sich Parteien mit dem Thema schmücken«, betont die Aktivistin zu »nd«. »Unterstützung durch die Politik ist toll, nach Zusagen müssen jedoch nun konkrete Handlungen folgen.«

Das linke Sammlungsprojekt »Aufstehen«, getragen unter anderem von Sahra Wagenknecht (LINKE), Marco Bülow (SPD) und Antje Vollmer (Grüne), fand keinen großen Anklang auf der Pressekonferenz. »Wir wenden uns nicht nur gegen den Rassismus der AfD, sondern auch von Linken«, sagt Newroz Duman vom »We'll Come United«-Netzwerk. »Hier wird auf dem Rücken von Migranten Politik gemacht.« Isabell Kramer von der »Seebrücke Berlin« erklärt: »Noch ist unklar, wie genau man sich dort zu Migration und Geflüchteten positioniert - bis da Kooperation zustande kommt, muss noch viel passieren.« Vom Podium hieß es gemeinsam: »Aufstehen hat sich bisher nicht gemeldet.«

Aus Sicht der Bündnissprecherinnen ist das vielleicht auch gar nicht notwendig. Die derzeitige Dynamik auf den Straßen sei bereits ermutigend. »Wir haben viele Nachrichten von Menschen bekommen, die bei den jüngsten Protesten in München das erste Mal auf einer Demo waren«, sagt »ausgehetzt«-Sprecherin Martin. Auch »Seebrücke«-Sprecherin Kramer fügt hinzu: »Uns gelingt es gerade, sehr viele Menschen zu politisieren.« Das setze »eine unglaubliche Kraft« frei.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -