Finanzmarkt-Sanktionen statt Parteien

Jörg Goldberg meint, heute braucht das internationalisierte Finanzkapital keine Parteien mehr

  • Jörg Goldberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Aktuellen Wahlumfragen zufolge hätten die Regierungsparteien in Deutschland mit etwa 45 Prozent der Wählerstimmen heute keine parlamentarische Mehrheit mehr. In vielen europäischen Ländern und in den USA sind die tradierten Parteiensysteme entweder zerfallen oder bestimmen nicht mehr den politischen Kurs (Trump, Brexit).

Beschrieben im 20. Jahrhundert Parteiennamen - in ideologischer Form - noch Programm und Ziele, so prägen heute vielfach Formationen die politische Landschaft, die sich als »Bewegung«, »auf dem Marsch«, »Alternative« oder »fünf Sterne« bezeichnen. Auch dort, wo - wie in Deutschland - noch ‚tradierte‘ Parteien überwiegen, haben diese den Charakter von Mitgliedsorganisationen mit Verankerung in entsprechenden Volksmilieus weitgehend eingebüßt.

Die Regierung bilden zunehmend Gruppierungen, deren Bezug zu den divergierenden Interessen sowohl der herrschenden als auch der subalternen Klassen, gelinde gesagt, unklar ist. Als Marx und Engels im Kommunistischen Manifest feststellten, der sei Staat ein »Ausschuss« zur Verwaltung der »gemeinschaftlichen Geschäfte der ganzen Kapitalistenklasse«, wussten sie, dass dies zwar eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung zur Bestimmung der »modernen Staatsgewalt« war.

Denn neben »gemeinschaftlichen« verfolgten die Gruppen und Fraktionen der Kapitalistenklasse durchaus unterschiedliche, oft gegensätzliche ökonomische und politische Ziele. Und spätestens seit der Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechts haben auch die subalternen Klassen ein Wörtchen mitzureden. Die jeweilige »Staatsgewalt« bediente (neben dem gemeinschaftlichen Geschäft der Systemsicherung) sowohl die divergierenden Interessen in der Kapitalistenklasse, musste aber auch die Interessen der verschiedenen subalternen Klassen berücksichtigen. Politische Parteien mit ihrer Verankerung in den jeweiligen Milieus konnten in diesem widerstreitenden Interessengeflecht politisch gut vermitteln und ihrerseits das im Rahmen der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ‚Machbare‘ an ihre jeweilige Klientel zurückmelden.

Dass dieses früher so erfolgreiche Parteiensystem heute erodiert, ist - neben anderen Faktoren - auch grundlegenden Veränderungen in den ökonomischen Verhältnissen des Kapitalismus geschuldet.

Zu nennen sind drei große Tendenzen: die Loslösung des Eigentums an den großen Unternehmen von der nationalen Basis (‚Globalisierung‘); die Ablösung der Kapitalverhältnisse von der stofflichen Seite der Produktion und ihre Unterordnung unter die Finanzmärkte (‚Finanzialisierung‘); und (last but not least) die Auflösung von Beschäftigtenmilieus, die oft mit bestimmten Unternehmen/Branchen/Regionen verbunden waren (‚Individualisierung‘). Zwar gibt es als ‚Standortwettbewerb‘ nach wie vor nationale ökonomische Interessen, die von den jeweiligen Regierungen verteidigt werden. Dies erfolgt aber immer weniger im Interesse und zusammen mit bestimmten Kapitalfraktionen.

Auch wenn nationale industriepolitische Strategien entwickelt und Mittel wie Strafzölle und Subventionen zu deren Durchsetzung eingesetzt werden, so ist doch offensichtlich, dass dem nur noch selten stabile nationale Unternehmenskoalitionen zugrunde liegen. In dem Maße, wie die Eigentumstitel der großen Konzerne sich von ihrer jeweiligen stofflichen Grundlage (der Produktion bestimmter Waren/Dienstleistungen) lösen und auf globalen Finanzmärkten gehandelt werden, spielt nur noch die nackte Rendite eine Rolle.

Diese war auch in früheren Zeiten bestimmende Zielfunktion. Ihre Höhe war aber an den Erfolg bestimmter Produktionszweige und wirtschaftspolitischer Strategien gekoppelt, auf deren Grundlage sich Kapitalfraktionen bildeten, die sich auch politisch ausdrückten. In dem Maße, wie sich Kapitalien von national und stofflich bestimmten Produktionsstrukturen loslösen und beliebig handelbar werden, interessieren sich die Eigentümer, vor allem internationale Kapitalfonds, nur noch für allgemein günstige und stabile Verwertungsverhältnisse.

Diese aber sichern die Finanzmärkte heute selbst, ihre Bewegungen sanktionieren unmittelbar jede politische Maßnahme positiv oder negativ. Die »moderne Staatsgewalt« muss nur noch entsprechend reagieren, für divergierende politische Strategien und Interessen bestehen vor diesem Hintergrund kaum noch Spielräume.

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