Der ästhetische Reiz des Zerstörten

Das Klangkunstfestival »Dystopia/Distopya« versammelt Arbeiten, die Zweifel an den Schönzuschreibungen der Welt wecken

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 3 Min.

Klangkunst hat einen Reiz, der zugleich ein Problem werden kann: Sie entfaltet sich im gleichen Medium, in dem sich Schallwellen ausbreiten: in der Luft. Gut, man kann sie verbannen in die Mikrowelten der aufzusetzenden Kopfhörer; der Klang endet dann an der eigenen Schädeldecke. Geht er dann doch in den Raum hinaus und trifft auf andere Arbeiten, führt das schnell zu Kakophonie. Um das zu vermeiden, bleibt nur das wechselweise An- und Ausschalten.

Das Klangkunstfestival »Dystopie«, das am Wochenende in Berlin begann, versammelt Arbeiten, die Zweifel an den Schönzuschreibungen der Welt äußern, aber auch mit der ästhetischen Kraft von Chaos und Verfall spielen. Selbst gerät das Festival zuweilen aber auch zur Dystopie, dann nämlich, wenn es die Konkurrenz benachbarter Klänge zu beherrschen versucht.

Dystopische Murr-Erfahrungen machten am Wochenende Festival-Besucher im Großen Wasserspeicher in Prenzlauer Berg vor allem wegen des Wartens auf den Start der Installationen. Drei der vier Installationen waren so geschaltet, dass immer nur eine im 10-Minuten-Rhythmus in Betrieb war. Das sorgte zwar für ein reines Hörerlebnis, wenn man etwa dem Knacken eines unter Spannung stehenden Eisblocks lauschte wie in »Melt« von Jakob Kirkegaard. Aber dass in den anderen Teilen des imposanten Bauwerks dann nichts von Sair Sinan Kestellis »Inhabited Neighborhoods« und Ipek Gorguns »Ode an die Freude« zu vernehmen war, irritierte. Man sah sich deutlich wie selten dem Diktat der Kuratoren unterworfen.

Sollte diese Wirkung im Dystopie-Konzept bereits mitgedacht gewesen sein: genial! Ansonsten wäre das eher ärgerlich. In der Galerie Meinblau führte am Eröffnungstag die Konkurrenz der Klanginstallationen dazu, dass Antje Vowinckels »Galapagos-Kreuzblende« gar nicht angestellt wurde. Stumm lagen die ihrer Umhüllungen entledigten Lautsprecher auf dem Boden. Kein Balzgeräusch von Vögeln drang heraus und auch nicht die Erzählung eines auf den Galapagos-Inseln forschenden Ornithologen über die Entstehung ganz neuer Arten durch falsch abgelauschte - und dennoch erfolgreiche - Balzgesänge einzelner gefiederter Jungmänner.

Natürlich präsentiert das Festival auch eine Fülle von Arbeiten, die das Oberthema »Dystopie« inhaltlich erfolgreich umsetzen. Peter Cusacks und Katharina Bevands Reise zur Ruinenstadt Ani - Opfer eines Erdbebens vor exakt 699 Jahren - spielt mit dem ästhetischen Reiz des Zerstörten (»Dystopic Mirage«, Meinblau). »Fog Zone« von Georg Klein, auch einer der drei Festivalkuratoren, lässt in der reizvoll vernebelten Kernzelle des Großen Wasserspeichers Videobotschaften der automatisierten Überwachungs- und Kontrollgesellschaft aufblitzen.

Spektakulär schließlich verspricht Kirsten Reeses Performance mit synthetisierten Tierklängen auf der einstigen Abhörstation auf dem Teufelsberg zu werden (30. September, 16 Uhr). Weitere Performances und Vorträge sind für den 26., 28. und 29. September geplant. Die Installationen sind von Dienstag bis Donnerstag, 16 bis 20, sowie Freitag bis Sonntag, 16 bis 22 Uhr begehbar.

Bis 30. September, verschiedene Orte; Info: www.dystopie-festival.net

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