- Politik
- Labour-Parteitag
Corbyn reist gestärkt aus Liverpool ab
Großbritannien: Labour-Parteitag stimmt für Kompromissresolution zum Thema zweites Brexit-Referendum
Zum Abschluss der Jahreskonferenz in Liverpool war die Labour-Partei wieder in ihrem Element. Tosender Applaus, stehende Ovationen und ein Chor von »Oh, Jeremy Corbyn!«-Gesängen, als der Vorsitzende das Podium betrat. Nach monatelangem internen Zank waren die 1650 Delegierten sichtlich froh, dass endlich wieder mal die Politik im Vordergrund stand - und dass Corbyn seine Entschlossenheit zu einem dezidiert linken Programm bekräftigte, dem sich die Parteibasis anschließen kann.
Vor dem Parteitag hatten viele befürchtet, dass die Debatte um den Brexit zu einem Eklat führen könnte. Pro-EU Aktivisten hatten in den Monaten zuvor versucht, die Parteiführung zur Unterstützung für ein zweites Referendum zu überreden. Laut einer neuen Umfrage sind 86 Prozent der Labour-Mitglieder dafür, die Bevölkerung zu den Modalitäten des Austritts zu konsultieren, und rund 100 lokale Parteiverbände hatten entsprechende Anträge eingebracht.
Doch die Führung wie auch viele Abgeordnete in Wahlkreisen, die deutlich für den EU-Austritt gestimmt haben, sind überaus skeptisch: Sollte Labour ihre undeutliche Brexit-Position zugunsten einer pro-europäischeren Strategie aufgeben und sich unumwunden für eine weitere Abstimmung aussprechen, so befürchten sie, dass sie in den Augen der Brexit-Wähler auf Seiten des anti-demokratischen Establishments stünden. Jegliche Chancen, in den EU-kritischen Landstrichen Stimmen hinzuzugewinnen, wären dahin.
Doch der befürchtete Streit blieb weitgehend aus. Die Delegierten des Parteitags einigten sich auf eine Formulierung, die beide Seiten zufriedenstellen konnte: Demnach soll Labour sich nicht zu einem zweiten Plebiszit verpflichten, sondern zunächst Neuwahlen fordern und sich dann, falls dies nicht möglich ist, alle Optionen offenhalten, darunter auch die Unterstützung eines erneuten Referendums. Mit überwältigender Mehrheit stimmten die Delegierten am Dienstagabend für diese Resolution.
Jenseits der Debatte um den EU-Austritt war die Konferenz von einem radikalen Ton geprägt. John McDonnell beispielsweise kündigte umfassende Pläne für eine Wirtschaftsreform an: So sollen große Unternehmen verpflichtet werden, zehn Prozent ihres Profits in einen Fonds für die Angestellten zu überweisen und am Ende des Jahres als Dividende auszuzahlen. Zudem stellte er eine Demokratisierung der öffentlichen Dienste, Maßnahmen zur Unterbindung der Steuerhinterziehung sowie eine Stärkung der Gewerkschaftsrechte in Aussicht.
In die gleiche Kerbe schlug Parteichef Corbyn selbst an seiner Rede. Er bekräftigte die Entschlossenheit Labours, Privatunternehmen und Outsourcing-Firmen, die sich durch Gier und »sozialen Vandalismus« auszeichneten, an die Kandare zu nehmen. »Labour wird dieser Gaunerei ein Ende setzen«, sagte der Vorsitzende.
Auch die Wohnungskrise, eines der größten Probleme in Großbritannien, will er mit einem bei Robin Hood entlehnten Plan angehen: Wer eine zweite Wohnung besitzt, muss in Zukunft die doppelte Gemeindesteuer zahlen. Das Geld soll verwendet werden, um Kindern, die in temporärer Behausung wohnen, ein permanentes Heim bereitzustellen. »Stellen wir es uns als einen Solidaritätsfonds vor«, sagte Corbyn - Geld von jenen, die zwei Wohnungen besitzen, geht an jene, die gar keine haben.
Der Vorsitzende wiederholte die am Vortag gutgeheißene Brexit-Strategie, nämlich dass Labour zunächst eine Neuwahl fordern wird, falls Mays Deal im Parlament durchfallen sollte. Corbyn beschwichtigte aber auch die Remain-Anhänger in seiner Partei: Ein »No Deal« käme auf keinen Fall in Frage und würde ein »nationales Desaster« bedeuten. So wird die Labour-Führung gestärkt vom Parteitag abreisen - und kann gelassen der Tory-Konferenz entgegenblicken, die am kommenden Wochenende beginnt und die für Theresa May kniffliger sein dürfte als der Labour-Parteitag es für den Oppositionschef war.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.