Die Pegida-Einheitswippe

Das Denkmal beschreibt nicht den Triumph für, sondern über die Demokratiebewegungen, meint Leo Fischer

Die Einheitswippe kommt! Nach jahrelanger Diskussion hat der Haushaltsausschuss des Bundes 17,1 Millionen Euro bereitgestellt; nun soll das Denkmal der Deutschen Einheit, das die Form einer begehbaren, balancierenden Schale annehmen wird, in den nächsten zwei Jahren errichtet werden - um pünktlich zum dreißigsten Jahrestag der Einheit zur allgemeinen Bewippung bereitzustehen. Auf dem »Denkmal für Freiheit und Einheit«, auch: »Bürger in Bewegung« geheißenen Erwachsenenspielplatz wird dann feierlich herumgewippt werden können, dass es nur so eine Art hat.

»Mit der Bestätigung des Konzeptes können wir nun mit der konkreten Umsetzung beginnen«, erklärte Kulturstaatsministerin Monika Grütters. »Mit dem Denkmal wollen wir die friedliche Revolution in der DDR würdigen, die sich im kommenden Jahr zum 30. Mal jährt.« Diese Würdigung hätten die Menschen, die das SED-Regime unblutig gestürzt und die Deutsche Einheit möglich gemacht haben, »mehr als verdient«. Vergifteter kann ein Kompliment nicht sein.

Auf Vorschlag von u.a. Lothar de Maizière und »Focus«-Eumel Helmut Markwort schon 1998 ins Parlament eingebracht, soll die Einheitswippe vor dem neu errichteten Berliner Stadtschloss platziert werden, auf dem Platz des ehemaligen Kaiser-Wilhelm-Denkmals. Wenn nicht allen Beteiligten der Sinn für Ironie und Geschichte längst abhanden gekommen wäre, sie könnten sich zu dem Witz gratulieren. Das Stadtschloss, der Sitz eines Despoten, wird freiwillig, ohne Not, inmitten von Demokratie, neu errichtet, weil es in der Despotie doch irgendwie schöner war - vor allem natürlich architektonisch! Anstelle des Despoten, der jede Demokratiebewegung noch blutig niederschlug, setzt man aber dem Volk ein Denkmal. Dem Volk - nicht: der Demokratie. Ja, es sollte sogar einmal »Wir sind das Volk« auf dem Sockel stehen; ob man das immer noch so umsetzen wird, bleibt abzuwarten. Stärker jedenfalls könnte man das Scheitern der gesamtdeutschen Erinnerungskultur nicht ausdrücken, als den offiziellen Slogan der Pegida-Bewegung zum ideologischen Kern eines zentralen Gedächtnisortes der Berliner Republik zu erheben.

Das Volk, nicht die Demokratie: Das ist auch die Aussage der Skulptur selbst - nämlich die von der Macht des Kollektivs über das Individuum. Wenn einer auf der Waage oben steht, dann nur deshalb, weil die Leute unten ihn da halten, denen er somit ausgeliefert ist. Hier kann die Masse ihre Macht spüren; recht unbefangen sieht schon der Entwurfstext das »Gewicht des Volkes« als wichtigsten Antrieb der Einheitsmaschine. Minderheitenschutz als Zentrum demokratischen Handelns bleibt ausgeschlossen; selbstverständlich ist die Skulptur auch nicht barrierefrei.

Als begehbares kinetisches Objekt soll sie Mitgestaltung suggerieren, wo die Grundstruktur stets die alte bleibt. Natürlich, man kann sich verabreden, verständigen und mit ein paar Dutzend Leuten die Schale zum Neigen bringen. Doch die »Lebendigkeit«, die die Planer behaupten, ist nur Schein - denn die Schale kommt gerade dann ins Lot, wenn niemand daran teilnimmt. Über den somit schon als sinn- und konsequenzlos denunzierten Entscheidungen der Besucher thront folgerichtig die Majestät des wiedererweckten Stadtschlosses als Autorität im Hintergrund. Wie dessen vormalige Herren lassen die Wippenmacher Demokratie nur in engen Grenzen zu, sehen sie als Belustigung und Zeitvertreib. Jede Bewegung, die die Wippendemokratie vorsieht, ist eine sichere und vorhersehbare: »Natürlich hat dieses Denkmal ein Geländer und zwar oben und unten, plus zusätzlichem Sicherheitsnetz.« 80 Zentimeter über dem Boden soll die Schale stoppen. »Hier kann nun wirklich niemand zu Schaden kommen«, meinte der Architekt.

Man kann ja über 1989 und die Wende denken, was man will: Aber ein Schaden ist dabei irgendjemand halt doch entstanden, und sei es zu Recht, und Sicherheitsnetze und Geländer gab es auch keine. In der Konzeption der Einheitswippe sind Bewegungen, wie sie die von 1989 ohne Zweifel waren, kategorisch ausgeschlossen: Insofern beschreibt die Skulptur den Triumph nicht für, sondern über die Demokratiebewegungen. Ein Triumph ohne Beständigkeit: Als Modell einer Gesellschaft, die gerade von Populisten gewaltsam und sehr erfolgreich zum Kippen, nicht zum Wippen, gebracht wird, wird sie zum Zeitpunkt der Eröffnung sogar noch ihrer bräsig-restaurativen Grundaussage Hohn sprechen.

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