Geld gibt es genug, allein es fehlt der Wille

Digitalpakt für Schulen droht am Streit zwischen Bund und Ländern zu scheitern

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 4 Min.

Am Donnerstag wurde an einigen Hochschulen gejubelt. 34 Universitäten erhalten in den kommenden Jahren zusätzliche Fördergelder. Auf fast 2,7 Milliarden Euro summiert sich die Förderung, verteilt auf sieben Jahre. 75 Prozent der Gelder kommen vom Bund, den Rest steuern die Länder bei.

In die Freude einzelner Spitzenforscher mischt sich allerdings auch Skepsis. Durch diese Elitenförderung bleibt die Finanzierung von Wissenschaft und Forschung auf der Strecke. »Schon jetzt hält die Finanzierung der Hochschulen nicht Schritt mit dem Anstieg der Zahl der Studierenden. Die Folgen sind ein nahezu flächendeckender Numerus clausus (NC) und miserable Betreuungsrelationen«, kritisiert der Hochschulexperte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Andreas Keller. An den Universitäten kämen inzwischen mehr als 60 Studierende auf eine Professorin oder einen Professor, in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften seien es sogar 93, rechnet der stellvertretende GEW-Vorsitzende zum Auftakt einer GEW-Wissenschaftskonferenz vor, die am Freitag in der Nähe von Mainz eröffnet wurde. Keller fordert, den 2020 auslaufenden Hochschulpakt zu verlängern und die Mittel dafür aufzustocken. Statt wie bisher nur 26 000 Euro müssten Bund und Länder künftig mindestens 36 000 Euro pro Studienplatz zur Verfügung stellen.

Der Hochschulforscher Roman Jaich von der Fernuniversität Hagen beziffert den jährlichen Mehrbedarf für die Hochschulen auf rund 6,2 Milliarden Euro. Noch dramatischer sieht es in anderen Bereichen des Bildungssektors aus. Für die Kindertagesstätten fallen der Rechnung von Jaich zufolge bundesweit jährlich laufende Mehraufwendungen in Höhe von 11,3 Milliarden Euro an, für die allgemeinbildenden Schulen knapp 16,7 Milliarden Euro. Insgesamt müssten Länder und Kommunen 42,1 Milliarden Euro mehr in die Bildung stecken. Rechnet man die zusätzlichen Aufwendungen für die Umsetzung der Inklusion an den Schulen und die nötigen Ausgaben für die Integration der Geflüchteten in den Bildungsbereich dazu, kommt Jaich auf eine Finanzierungslücke von 55 Milliarden Euro pro Jahr.

Eigentlich müsste dieses Geld zur Verfügung stehen, denn Bund und Länder hatten sich bereits 2008 beim Bildungsgipfel in Dresden darauf geeinigt, bis 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Bildung und Forschung auszugeben (7 Prozent für Schulen, Kitas, Berufliche Bildung und Weiterbildung, 3 Prozent für Wissenschaft und Forschung). Zwar sind die öffentlichen Bildungsausgaben gestiegen. Während EU-Spitzenreiter Dänemark 2015 aber sieben Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für staatliche Bildungsausgaben aufwandte, lag die Quote hierzulande lediglich bei 4,2 Prozent und damit deutlich unterhalb des EU-Durchschnitts von knapp fünf Prozent; Deutschland rangierte im EU-Vergleich damit von 28 Mitgliedstaaten der Union auf Platz 22. Bis 2017 stieg der Anteil für Bildung und Forschung am BIP auf etwas mehr als 5 Prozent, das entspricht Ausgaben in Höhe von rund 130 Milliarden Euro. Knapp die Hälfte davon wurden für Schulen ausgegeben. Das selbst gesteckte Ziel von 2008 haben Bund und Länder damit 2017 um fast 130 Milliarden Euro verpasst!

Wie sich diese Unterfinanzierung des Bildungssystems auswirkt, ist an fehlenden Kita-Plätzen, maroden Schulgebäuden und der chronischen Personalnot in Kitas und Schulen täglich zu beobachten. Es fehlt aber nicht nur an Erzieherinnen, Lehrkräften, Hausmeistern und benutzbaren Schultoiletten, auch bei der Digitalisierung der Schulen kommt Deutschland nicht voran. Fünf Milliarden Euro sollen nach dem Willen der schwarz-roten Koalition in den kommenden fünf Jahren für diese Investition in die Bildungsinfrastruktur bereitgestellt werden. Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt eine Umfrage der GEW unter ihren Mitgliedern, die die Gewerkschaft zu Beginn dieser Woche vorstellte. 82 Prozent der befragten Pädagogen räumen der Verbesserung der digitalen Ausstattung der Schulen eine hohe Priorität ein, 59 Prozent halten Umbau- und Sanierungsmaßnahmen ihrer Schule für dringend notwendig, 70 Prozent halten die die hygienischen Bedingungen an den Schulen für verbesserungswürdig.

Ob der Digitalpakt wie geplant umgesetzt werden kann, ist allerdings fraglich. Damit der Bund das Geld geben kann, ist eine Grundgesetzänderung erforderlich. Und diese benötigt eine eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat. Am Freitag beriet sich der Bundestag erstmals zu diesem Thema. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) appellierte an Länder und Kommunen, gemeinsam mit den Schulträgern endlich Konzepte zu entwickeln. Geld sei genug da, meinte die Ministerin. Bund, Länder und Kommunen hätten einen Haushaltsüberschuss. Der Bund könne aber nicht selbst die Handwerker in die Schule schicken.

Widerstand gegen den Digitalpakt kommt aus den Ländern. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will einer Änderung des Grundgesetzartikels 104c nicht zustimmen. Diese Änderung soll ermöglichen, dass der Bund künftig nicht nur den finanzschwachen, sondern allen Kommunen in Deutschland Finanzhilfen für Investitionen in die Bildungsinfrastruktur gewähren kann. Der Digitalpakt drohe zu einem Einfallstor für eine stärkere Einflussnahme des Bundes in die Bildungspolitik zu werden, warnt Kretschmann. »Ich kann nicht verstehen, dass Herr Kretschmann sich so sehr dagegen wehrt«, kommentierte die GEW-Vorsitzende Marlis Tepe am Montag diese Aussage. Bund und Länder müssten den Weg für den Digitalpakt frei machen. Wichtig sei, dass das Geld jetzt endlich fließe.

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