- Politik
- Frauenprotest in Brasilien
»Jetzt schlägt unsere Stunde«
Brasilianerinnen demonstrieren landesweit gegen Jair Bolsonaro - und könnten die Wahlen noch entscheiden
Amanda zieht an ihrer Zigarette und schaut vor sich ins Getümmel. Dort ist alles lila. Ihre Freunde pinseln sich die letzten Buchstaben der Kampagne »Ele Não!« (Nicht er!) auf den Körper und begeben sich in die tobende Menge. »Jetzt schlägt unsere Stunde«, sagt die 26-jährige Aktivistin der Gruppe frente feminista (feministische Front). »Der Feminismus kämpft letztendlich für die Gleichheit aller und deshalb werden wir siegen.« In der brasilianischen Metropole São Paulo demonstrierten am Samstag 150 000 Menschen. Ihre gemeinsame Botschaft, knapp eine Woche vor dem ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen lautet: Nein zum Faschismus und nein zu Jair Bolsonaro, Kandidat der extremen Rechten.
Vor noch einem Monat hätte niemand geglaubt, dass eine Social-Media-Gruppe zu Massenprotest führen würde. Aber der rechtsextreme Präsidentschaftskandidat Bolsonaro bringt immer mehr Brasilianerinnen gegen sich auf. Laut Wählerstudie lehnen ihn 54 Prozent der Frauen strikt ab. Sie könnten die Wahlergebnisse damit entscheidend beeinflussen. Verwunderlich sind diese Statistiken nicht, denn Bolsonaro vertritt öffentlich menschenverachtende Positionen. Als langjähriger Parlamentsabgeordneter ist er bereits mehrfach mit sexistischen, homophoben oder gewaltverherrlichenden Äußerungen aufgefallen. Einer Abgeordneten teilte er mit, dass sie zu hässlich sei, um vergewaltigt zu werden: haarsträubende Aussagen eines möglichen Präsidenten.
Trotzdem führt Bolsonaro laut Wählerstudie mit 28 Prozent der Stimmen und könnte den ersten Wahlgang am 7. Oktober für sich entscheiden. Seine Popularität ist gestiegen, nachdem er Anfang September bei einer Wahlkampfveranstaltung niedergestochen wurde.
Die Facebook-Gruppe »Mulheres unidas contra Bolsonaro« (Frauen vereint gegen Bolsonaro) hatte bereits fünf Tage nach der Gründung mehr als zwei Millionen Mitglieder. Über die Social-Media-Plattform hat sich der überwiegend weibliche Protest auch über die brasilianischen Grenzen hinaus mobilisiert: In New York, Berlin oder Paris solidarisierten sich Menschen mit den Brasilianer*innen und setzten so ein gemeinsames Zeichen gegen den globalen Rechtsruck. »Bolsonaros Sieg zu verhindern, löst das Problem nicht. Er ist nur eine weitere Figur des Gesamtsystems, das den Rechtsextremismus auf internationaler Ebene wachsen lässt«, sagt Diana Assunção, Gründerin der antikapitalistischen Frauenorganisation Pão e Rosas (Brot und Rosen). »Deshalb darf der weibliche Widerstand nicht mit den Wahlen enden, sondern muss fortgeführt werden, bis die Rechte aller dauerhaft garantiert sind.«
Seit der Amtsenthebung von Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff im Jahr 2016 hat sich das politische Klima im Land zugespitzt. Die provisorische Regierung unter Michael Temer besetzte die Ministerämter fast ausschließlich mit alten weißen und reichen Männern, deren neoliberale Reformen die Schwächsten der Gesellschaft am härtesten treffen. Afrobrasilianerinnen beispielsweise sind am häufigsten in prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt und werden damit vom Recht auf Bildung und Gesundheit ausgeschlossen.
Gerade unter ihnen ist wiederum die Ablehnung des frauenfeindlichen und rassistischen Kandidaten Bolsonaro am größten. Dieser hat wohl kaum bedacht, dass seine Hass schürenden Tiraden nicht unkommentiert an der Bevölkerung vorbeiziehen. Eine Woche vor den Wahlen stellt sich die Situation nun so dar, dass Bolsonaro zwar auf gute Umfragewerte blicken kann, aber gleichzeitig Hunderttausende gegen ihn auf die Straße gehen - mit dem Ziel, einen Präsidenten Bolsonaro zu verhindern. »Die Frauen haben diese Bewegung initiiert und könnten mit ihren Stimmen den Antritt eines Präsidenten verhindern, der für alle alles andere als Fortschritt bedeutet. In diesem historischen Moment möchte auch ich die Frauenbewegungen unterstützen«, sagt ein Demonstrant am Samstag in São Paulo und klebt sich einen Aufkleber auf die Brust mit der Aufschrift: Ele Não - Nicht er.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.