Rotes Haus im schwarzen Freistaat
SPD Sachsen errichtet sich in Dresden eine Zentrale / Neubau soll für Partei werben
Als Martin Dulig 2004 erstmals an den Verhandlungen über eine Koalition mit der CDU in Sachsen teilnahm, schwoll ihm in der Staatskanzlei die Brust. Er lief dort an einer Galerie früherer sächsischer Ministerpräsidenten vorbei, deren Mehrzahl wie er Sozialdemokraten waren. Sechs SPD-Männer hatten seit dessen Gründung im Februar 1919 im Freistaat eine Regierung geführt. Die SPD sei »wichtiger Teil im Werden und Gedeihen des Landes« gewesen, sagt ihr heutiger Landeschef Dulig. Einmal habe sie gar »alle Wahlkreise bis auf einen« gewonnen. Sachsen, fügt er an, hieß nicht zufällig »rotes Königreich«.
Lang ist es her. Das Sachsen, gegenüber von dessen Parlamentsgebäude Dulig an diesem Tag unter der Richtkrone für einen Neubau in Erinnerungen schwelgt, ist alles andere als eine Hochburg der SPD. Deren sechs Ministerpräsidenten haben alle in den Jahren von 1919 bis 1946 regiert; in der Zeit seit Neugründung des Freistaats 1990 gab es nur Regierungschefs von der CDU. Eine Landrätin stellte die SPD zeitweilig; in Leipzig und Chemnitz führt sie noch immer die Rathäuser; ansonsten aber sind die glorreichen Zeiten vorbei. Zwar wird Dulig beim Richtfest als stellvertretender Ministerpräsident begrüßt. In die Koalition rutschte seine Partei aber 2014 mit einem Wahlergebnis von mageren 12, 4 Prozent. Zehn Jahre davor war sie gar auf 9,8 Prozent abgestürzt.
Dazu, dass sich solche Albträume möglichst nicht wiederholen, soll der Neubau beitragen, auf dem jetzt die Richtkrone gesetzt wurde: eine neue SPD-Zentrale, die in unmittelbarer Nähe des Landtags die Existenz der Partei in Erinnerung halten und auch für diese werben soll. Sie sei ein »sichtbares Zeichen, dass wir in diese Gesellschaft mitten hinein gehören«, sagt Dulig. Man hoffe, dass es dort zu »vielen Begegnungen« mit Bürgern komme, ergänzt Dietmar Nietan, der als Schatzmeister der Bundes-SPD formal Bauherr des von einer parteieigenen Immobilienholding errichteten Gebäudes ist. Mancher, so die unausgesprochene Hoffnung, erinnert sich an derlei Begegnungen dann auch in der Wahlkabine.
Falsche Illusionen über die rund 4800 Mitglieder zählende Landespartei erweckt das Gebäude nicht. Zwar spricht Nietan von einem »Eckstein für die städtebauliche Erschließung eines spannenden Areals«. Es liegt nur wenige Schritte von Semperoper und Elbe gegenüber eines Hotels, für das ein vom früheren Stadtbaudirektor Hans Erlwein errichteter Hafenspeicher umgebaut wurde. Die sechs Etagen zählende SPD-Zentrale aber ist ein nüchterner Bau ohne Schnörkel, der nur durch die Farbe der Fassade ein wenig auffällt. Der Beton wurde durch Ziegelmehl mit einem fahlen Rotton versehen.
Als »Rotes Haus« soll die Parteizentrale aber offiziell nicht firmieren; vielmehr wird das Gebäude nach dem großen SPD-Politiker Herbert Wehner benannt, der 1906 in Dresden geboren wurde. Er starb 1990; seine Witwe Greta Wehner zog 1996 nach Dresden und brachte Archiv und Bibliothek des Politikers mit. Sie gehörte danach zu den eifrigsten Verfechtern einer Idee, die bereits 1994 in der SPD-Parteizeitung »Vorwärts« propagiert worden war: in Dresden, wo alle einstigen Immobilien der Vorkriegs-SPD zerstört worden waren, ein »Haus für Onkel Herbert« zu errichten. Es folgte freilich eine lange Zeit voller »Irrungen und Wirrungen«, sagt Dulig. Greta Wehner starb 2017; sie kann, wie man in der SPD bedauert, es nicht mehr miterleben, wenn Anfang 2019 der Bau bezogen wird. Ein gutes halbes Jahr später ist Landtagswahl - eine Wahl, bei der die Partei hoffen muss, nicht wieder unter die Räder zu geraten. Nichts wäre ärgerlicher, als aus den großen Fenstern des »Herbert-Wehner-Hauses« auf einen Landtag zu schauen, in dem man keine wirkliche Rolle mehr spielt.
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