Immer mehr Übergriffe auf Journalisten

Kameramann wird auf AfD Parteitag verbal angegriffen / Deutscher Presserat fordert Politik auf Verantwortung zu übernehmen

  • Ellen Nebel
  • Lesedauer: 3 Min.

Frankfurt am Main . Marc Bauer (Name geändert) ist seit 27 Jahren Kameramann. Beim Parteitag der hessischen AfD gerät er Mitte August in eine Situation, wie er sie bis dahin noch nicht erlebt hat. Als seine Teamkollegen vom Hessischen Rundfunk (HR) kurzzeitig den Veranstaltungsort, das Bürgerhaus im Wiesbadener Stadtteil Erbenheim, verlassen, schlägt ihm unvermittelt Hass entgegen. »Wenn diese Aufnahmen im Fernsehen gesendet werden, verklage ich dich persönlich«, ruft ihm ein Mann aus dem Publikum entgegen. Er hält ein Smartphone in der Hand, mit dem er Bauer fotografieren will.

Der Kameramann ist verunsichert, Fragen rauschen durch seinen Kopf: Kann ich tatsächlich persönlich verklagt werden? Wozu macht der Mann Fotos? »Ich will nicht, dass Sie mich fotografieren«, kontert er schließlich und verweist auf das Recht am eigenen Bild.

Angriffe von rechts auf Medienvertreter nehmen in Deutschland zu. Der ARD-Vorsitzende Ulrich Wilhelm erklärte nach Übergriffen auf Medienvertreter in Chemnitz und Köthen Mitte September, es gebe ein »erschreckendes Ausmaß an Hass« gegenüber Journalisten, Fotografen und Kameraleuten. »Reporter ohne Grenzen« rechnet damit, dass die Zahl gewalttätiger Angriffe 2018 im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen ist. Nach Angaben des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit gab es bis Mitte September in diesem Jahr bereits 22 tätliche Übergriffe auf Journalisten.

Tobias Wolf, Reporter der »Sächsischen Zeitung«, berichtet über die fremdenfeindliche »Pegida«-Bewegung seit ihren Anfängen 2015. Im August war er auch in Chemnitz vor Ort. Wolf wird dort mit Flaschen beworfen, das kennt er. »Da stellt sich eine gewisse Gewöhnung ein«, sagt der 40-Jährige. Doch er erlebt in Chemnitz auch, wie ein Kollege von einem unscheinbar wirkenden Rentner angegriffen wird. »Das ist eine neue Qualität«, sagt Wolf. Er, der sich schon länger in seinem Alltag auf der Straße umschaut, um zu sehen, wer hinter ihm läuft, sagt inzwischen: »Heute müssen Sie als Journalist in Dresden, der über 'Pegida' berichtet, damit rechnen, von einer lieben Oma in der Straßenbahn angegriffen zu werden.«

Die Folgen seiner Arbeit beeinflussen das Sicherheitsgefühl des gebürtigen Dresdners im privaten Alltag. Wolf hat sich die Frage schon vor Jahren gestellt: »Wenn sich alle einigeln in ihren Fake-News-Filterblasen, hat es einen Sinn, was ich hier mache?« Seine Antwort lautet: »Jetzt erst recht.« In Sachsen zeige sich die demokratischen Entwicklung in Deutschland in einem Brennglas, meint Wolf. Für ihn ist es auch deshalb keine Option, aufzuhören.

Wer Journalisten bei der Ausübung ihres Berufes einschüchtere oder sogar körperlich angreife oder dies zulasse, lege Hand an eine tragende Säule einer freiheitlichen offenen Gesellschaft, erklärte Karola Wille, Intendantin des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR), im September. »Die Medienfreiheit unterscheidet uns wesentlich von totalitären Systemen«, sagte Wille.

Der Deutsche Presserat hat Politik und Sicherheitsbehörden deshalb jüngst an ihre Verantwortung für die Gewährleistung der Pressefreiheit erinnert. »Die deutsche Verfassung weist Presse und Rundfunk einen hohen Rang zu, weil die Staatsform der repräsentativen Demokratie ohne unabhängige, an ethische Grundwerte gebundene Beobachtung durch Medien nicht lebensfähig ist«, heißt es in einer vom Plenum des Presserates verabschiedeten Erklärung.

HR-Kameramann Bauer hat beim AfD-Parteitag in Wiesbaden Glück gehabt: Die Situation hatte sich nach seiner Aufforderung, ihn nicht zu fotografieren, erledigt. Alle seine Filmaufnahmen seien später im Fernsehbeitrag so verwendet worden wie geplant. Im Abspann des Beitrags wollte Bauer trotzdem lieber nicht erwähnt werden. Im Sender schilderte er sein Erlebnis und fühlte sich damit ernstgenommen und gut beraten. Dennoch sagt Bauer: »Ich bin unsicher geworden.« epd/nd

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