Bürgermeister von Riace unter Hausarrest

Mimmo Lucano, Symbol der Willkommenskultur, wird »Begünstigung illegaler Einwanderung« vorgeworfen

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Dienstagfrüh steht der Bürgermeister von Riace, Domenico »Mimmo« Lucano, unter Hausarrest. Die Anklage lautet »Begünstigung der illegalen Einwanderung« und »illegale Ausschreibung«. Tatsächlich hatte die Staatsanwaltschaft noch sehr viel schwerere Anklagen erhoben, die von Bildung einer kriminellen Vereinigung über Betrug zu persönlicher Bereicherung im Amt reichten.

Der Richter, der prüfen musste, ob eine Verhaftung gerechtfertigt ist, ließ schlussendlich aber nur die beiden oben genannten Punkte zu. Er erklärte am Dienstag, dass es vor allem überhaupt nicht stimme, dass sich der Bürgermeister in irgendeiner Art selbst bereichert habe. Vielmehr, so erklärte der Richter noch am Dienstag, habe Lucano permanent Gesetze bis zum Letzten ausgereizt und sich auf dem messerscharfen Grat zwischen Legalität und Illegalität bewegt - was der Bürgermeister übrigens mehrmals zugegeben und sogar für sich beansprucht hatte.

Die »illegale Einwanderung« soll Domenico Lucano gleich mehrmals begünstigt haben. Zum einen soll er die Scheinehe zwischen einer Frau aus Nigeria und einem Bürger von Riace nicht nur geschlossen, sondern sogar arrangiert haben. Zum anderen soll er dem Bruder seiner Lebensgefährtin, die ursprünglich aus Eritrea stammt, dabei behilflich gewesen sein, sich falsche Dokumente zu besorgen, um seine Ausreise nach Italien möglich zu machen. Der zweite Anklagepunkt betrifft die Ausschreibung für die Müllabfuhr in Riace, die er »irgendwie halblegal« (so der Richter) einer bestimmten Genossenschaft zugesprochen haben soll, die sich aus Migranten und Einheimischen zusammensetzt. Die Müllabfuhr wurde übrigens international bekannt und als vorbildlich gelobt, da man in den engen und steilen Gassen von Riace Esel einsetzt, die die Kübel direkt an den Haustüren abholen.

Die Atmosphäre in Riace schwankt nun zwischen Ungläubigkeit und Wut. Domenico Lucano selbst, der jetzt in seinem Elternhaus eingesperrt ist, ließ durch seinen Bruder durchsickern: »Ich kann das nicht glauben, ich bin geschockt. Aber das ist ein Zeichen der heutigen Verhältnisse«, womit er wohl auf Innenminister Matteo Salvini (Lega) anspielt, der seit seinem Amtsantritt alles tut, um Migranten zu Sündenböcken für alles zu machen, was in Italien nicht funktioniert und der Hilfs- sowie Menschenrechtsorganisationen, die Tausende Menschen im Mittelmeer gerettet haben, ausbremst und als »kriminelle Schlepper« diffamiert. Die Bürger von Riace - egal ob Italiener oder Migranten - hingegen stehen voll und ganz hinter ihrem Bürgermeister. »Er hat unser Dorf vor dem Aussterben gerettet«, sagt zum Beispiel Fernando Antonio Capone, Chef der Müllabfuhr-Kooperative.

In ganz Italien ist die Empörung über die Verhaftung groß. In Rom und anderen Städten fanden wenige Stunden nach Bekanntwerden der Vorgänge spontane Kundgebungen statt; für das Wochenende wird zu einer Demo in Riace aufgerufen. Außerdem denken Tausende Menschenrechtsaktivisten darüber nach, sich wegen »Begünstigung der illegalen Einwanderung« selbst anzuzeigen.

Vollkommen unabhängig von den Ermittlungen gegen Domenico Lucano, der ganz offensichtlich als Symbol der Willkommenskultur herausgegriffen wurde, sind viele Italiener mehr als nur besorgt über das Klima, das mit der neuen Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung und Lega nicht nur aber auch in Bezug auf die Migrationspolitik eingezogen ist. Zwar ist 2018 laut UNHCR die Zahl der Menschen, denen die Flucht über das Mittelmeer gelungen ist, um circa 80 Prozent zurückgegangen. Die Überfahrt ist aber auch sehr viel gefährlicher geworden. Im letzten Juni starb jeder siebte Migrant, der versucht hat, Italien zu erreichen.

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