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»Die demokratischen Kräfte werden sich durchsetzen«
Der ehemalige Außenminister von Brasilien Celso Amorim über die anstehenden Wahlen und die Fehler seiner Partei, der Arbeiterpartei PT
Die Unterstützung für den ehemaligen, mittlerweile inhaftierten Präsidenten Luiz »Lula« Inácio da Silva ist groß. Das Oberste Wahlgericht hat Lula untersagt, für die Wahlen am Sonntag anzutreten. Warum?
Die Ursachen dafür sind komplex. Ein Grund ist sicherlich der Widerstand der Eliten gegen soziale Veränderungen in einem der ungleichsten Länder der Welt. Die Tatsache, dass mehr prominente Persönlichkeiten und ehemalige Regierungschefs die Provinzhauptstadt Curitiba besuchen - wo Lula inhaftiert ist - als den Präsidentenpalast, zeigt den verdrehten Zustand der brasilianischen Verhältnisse.
Die Arbeiterpartei PT hat vierzehn Jahre lang regiert. Was hätte sie in dieser Zeit besser machen können?
Im Rückblick fallen mir verschiedene Maßnahmen ein, wie die Reglementierung der Medien. Denn: Die alten Eliten verfügen über ein Medienmonopol und berichten nicht unabhängig. Außerdem hätten wir eine Wahlreform anstreben müssen. Allerdings hatte die PT niemals eine Mehrheit im Kongress und musste immer Bündnisse mit Mitte-Rechts-Parteien eingehen, um regieren zu können. Unsere Priorität war der Kampf gegen Armut und Ungleichheit.
Auch gegen die PT gibt es schwere Korruptionsvorwürfe. Was würde sie in einer nächsten Regierung dagegen tun?
Ich denke, dass die meisten angeblichen Fälle von Korruption im Zusammenhang mit Wahlkampfgeldern stehen. Und da besteht ein direkter Zusammenhang zum brasilianischen Wahlsystem. Durch die Verhältniswahl mit offenen Listen sind Wahlen in Brasilien sehr teuer. Manche Parteien werden nur gegründet, um Wahlkampfmittel oder Posten zu erhalten. Dies ermöglicht ihnen im Kongress, ihre Stimme gegen verschiedene Arten von Gefälligkeiten einzutauschen. Aus meiner Sicht ist es notwendig, eine Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, um das Wahlsystem in der notwendigen Weise zu ändern. Aber natürlich hat auch die PT Fehler gemacht: Sie hat sich dem System angepasst, statt es zu verändern.
Während der Regierungsjahre der PT wurde Brasilien zu einem Global Player, durch Sozialprogramme konnten Millionen Menschen aus der Armut befreit werden und die PT hatte großen Einfluss für die lateinamerikanische Integration. Präsident Michel Temer versucht, vieles wieder rückgängig zu machen. Was ist noch übrig vom Erbe der PT-Regierungszeit?
Ich denke, dass wir mehr Wissen darüber haben, was gemacht werden muss. Im Bereich der Außenpolitik zum Beispiel werden wir die Arbeit für eine multipolare Welt fortsetzen. Ebenso werden wir die Integration von Süd- und Lateinamerika fortsetzen und die Beziehungen nach Afrika und in die Arabische Welt ausbauen. Es ist richtig: Die Regierung von Michel Temer versucht, viele Errungenschaften rückgängig zu machen. Aber das Wissen, wie Gesetze und Politik im Interesse der Armen und Entrechteten verändert werden können, ist noch vorhanden.
Der ehemalige Bürgermeister der Millionenmetropole São Paulo Fernando Haddad wird nun für die PT ins Rennen der Präsidentschaftswahlen geschickt. Was zeichnet ihn aus?
Neben seinen persönlichen Qualitäten wird ihm die Unterstützung von Lula ausreichend Stimmen bringen, um zusammen mit der Vizepräsidentschaftskandidatin Manuela D’Avila in die zweite Runde der Wahlen einzuziehen. Und dann wird es ein Kampf aller demokratischen Kräfte gegen den Kandidaten der extremen Rechten, Jair Bolsonaro, sein. Und ich bin überzeugt davon, dass sich die demokratischen Kräfte durchsetzen werden.
Was sind die wichtigsten Forderungen im Wahlkampf?
Brasilien ist nicht nur in Bezug auf die sozialen Klassen von starken Ungleichheiten geprägt, sondern auch hinsichtlich Geschlecht und Ethnizität. Der Kampf gegen die Ungleichheit sollte deshalb unser Fokus sein.
Der ultrarechte Kandidat Jair Bolsonaro liegt in den Umfragen derzeit auf dem ersten Platz. Anfang September wurde er mit einem Messer attackiert und schwer verletzt. Hat dieser Anschlag die öffentliche Meinung beeinflusst?
Das ist schwer zu beantworten und kann nicht kategorisch ausgeschlossen werden. Bolsonaro schafft es, Wähler anzusprechen, die von Politikern »die Schnauze voll haben«. Aber es gibt auch großen Widerstand gegen seine extremistischen Positionen. Keinem Politiker schlägt in den Umfragen eine so große Ablehnung entgegen wie Bolsonaro.
Wie sollte Brasilien in zehn Jahren aussehen?
Ein weniger ungleiches Land mit Möglichkeiten für alle. Brasilien sollte in der Lage sein, eine wichtige Rolle in der internationalen Politik zu spielen zu Gunsten von Frieden, Nachhaltigkeit und fair verteiltem Reichtum.
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