»Bunte Bilder verwirren bloß«
Rummikub - einst aus Spielnot geboren, inzwischen galaktisch gewachsen.
Ein klasse Spiel macht ganz einfach blanke Freude und puren Spaß. Weil die Beteiligten nämlich mental abheben - in den siebten Himmel des Zockerglücks. Und das kann man hier durchaus wörtlich verstehen.
Irgendwann in den 1930er Jahren hatte ein rumänischer Handelsvertreter namens Ephraim Hertzano die Idee zu einem Legespiel. Warum gerade zu dieser Zeit in Rumänien? Es heißt, der geschäftstüchtige Mann habe damit das weitgehende Verbot öffentlichen Kartenspielens unter der Königsdiktatur Carol II. umgehen wollen. So gesehen ist die Sache aus der Not geboren, genauer: aus Spielnot.
Nun suchte er nach preiswertem Material, um daraus die Steine, präziser: Plättchen für den Prototyp zu basteln. Fündig wurde er bei einer Firma, die gerade ein abgewracktes Flugzeug recyclen sollte. Hertzano kaufte das Acrylglas der Pilotenkabine zum Schnäppchenpreis - und das von ihm erdachte Rummikub ging endlich an den Start. Aus dem ist ein bis heute anhaltender Siegesflug rund um die Welt geworden. Von dem Spiel-Werk des Tüftlers Hertzano, der mit seiner Familie nach dem Zweiten Weltkrieg in Israel eine neue Existenz aufbaute, sind gegenwärtig mehr als 60 Millionen Sets weltweit im Umlauf.
Von der Spielidee ist Rummikub eine Anleihe an Rommé. Nur müssen hier weder Bild- noch Farbmotive, sondern unterschiedlich kolorierte Zahlen kombiniert werden. Spieltechnisch geschieht das mit rechteckigen Plättchen.
Andrea Vornholt aus Beckum ist passionierte Rummikuberin und kann schon von Berufs wegen gut mit Zahlen jonglieren. Die 53-Jährige arbeitet als Betriebsleiterin in der Kaffee- und Snackautomatenbranche. Entsprechend kalkuliert sie auch blitzschnell, wenn sie eine Spielpartie austrägt und profitable Zahlenmuster zu erspähen sucht. An Rummikub habe ihr von Anfang an gefallen, wie es die Rommé-Grundidee auf das Wesentliche konzentriert. »Und zwar ohne die dort üblichen Karten«, betont die rationale Managerin im nd-Gespräch. »Bunte Bilder verwirren bloß«, meint sie. Und sie lächelt bei diesen Worten souverän und siegessicher.
Das kennt die Konkurrenz von ihr und kann auch 2018 ein Lied davon singen. Andrea Vornholt holte nämlich den diesjährigen Deutschen Meistertitel. Dafür hatte sie am ersten Septemberwochenende in Lüdenscheid im Turnierendspurt eine sensationelle Attacke hingelegt. Nun ist die Münsterländerin für die Rummikub-WM vom 9. bis 12. November in Jerusalem nominiert.
»Eine Riesenchance für mich«, hofft sie. Über die habe sich auch ihre »ganz liebe Tante wahnsinnig gefreut«, erzählt Vornholt. Diese, eine glaubensstarke Dame im Dienst eines katholischen Ordens, habe ihr am Telefon bereits einen ausgefeilten Tourplan durch die Heilige Stadt referiert. Unbedingt wolle die stolze Gewinnerin des WM-Tickets deshalb auch die Klagemauer besuchen.
Jerusalem war 1991 bereits Gastgeber der ersten Rummikub-Welttitelkämpfe. Ohnehin liegt in Israel die aktuelle Schaltzentrale jenes Denksports, den der einstige Immigrant Ephraim Hertzano Mitte des vergangenen Jahrhunderts im Koffer mitbrachte. Aus einem improvisierten Business, das zunächst bescheiden am Südrand von Tel Aviv logierte, mit einer engen Küche als Werkstatt, wuchs das längst dollarmillionenschwere Unternehmen Lemada Light Industries. Inzwischen ist die Fertigung in die Negevwüste umgezogen, nach Arad in einen hochmodernen Gebäudekomplex. Lückenlos aneinandergereiht machen alle bisher gefertigten Spielsteine die Strecke zum Mond und zurück schätzungsweise zehnmal aus.
Eine wirklich galaktische Größenordnung also. Irgendwie etwas verblüffend angesichts eines Spielprinzips, das im Kern ergreifend schlicht wirkt: Die Aktiven sollen 14 Zahlenchips möglichst rasch loswerden. Das ist alles.
Wird das nicht auf Dauer langweilig? - »Keineswegs«, betont Andrea Vornholt. »Immer wieder treffe ich auf Leute, die frische Ideen ins Spiel bringen.« Und überhaupt müsse sie selbst täglich mindestens einmal die Steine rausholen, sonst sei sie »nicht glücklich«. Rummikub könne eben regelrecht »süchtig machen«, resümiert Andrea Vornholt.
Und welche Platzierung strebt sie in Jerusalem an? - »Spielt der Zufall mit, kann ich vorne eingreifen«, sagt sie selbstbewusst. »Abgesehen davon werde ich die Tage in Israel einfach genießen.« Außerdem finde sie den völkerverbindenden Aspekt des Turniers deutlich wichtiger als nur schnödes Punkten; schließlich fliegen Kandidaten aus rund 30 Ländern zur WM ein, darunter Australien, China, Südkorea und USA.
Zu den ganz Großen der jungen Rummikubgeschichte gehört übrigens die Ägypterin Nihad Zahran. Die Alexandrinerin war 1994, damals 33-jährig, die zweite WM-Titelträgerin. Das erscheint beziehungsreich und geradezu sinnstiftend im Vorfeld der WM in Jerusalem, an diesem schicksalhaften Ort im Nahen Osten. Dazu zitiert Andrea Vornholt das Leitmotiv der Veranstaltung: »Rummikub bringt Menschen zusammen«. Dass diese WM so vielleicht ihren kleinen Beitrag zu einer friedlichen Zukunft leisten könnte, wünscht sich Andrea Vornholt.
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