Irrweg Privatisierung
Ohne akademische Freiheit ist keine qualitativ hochwertige Bildung möglich, meint der Hochschulexperte und Vizechef der GEW, Andreas Keller
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft wird in der Öffentlichkeit vor allem als eine Gewerkschaft der Lehrer an staatlichen Schulen wahrgenommen. Wie sieht es mit ihrer Verankerung an Hochschulen aus?
Wir sind stolz darauf, dass wir das große W für Wissenschaft in unserem Namen tragen. Der Hochschul- und Forschungsbereich ist der kleinste Organisationsbereich der GEW, aber wir wachsen kontinuierlich und überproportional, nämlich jedes Jahr um etwa fünf Prozent. Als zuständiges Vorstandsmitglied stehe ich für eine offensive Vertretung der Hochschulbeschäftigten und Thematisierung ihrer Probleme. Das war auch die Grundlage für die 2010 gestartete Kampagne »Traumjob Wissenschaft«.
Vergangenes Wochenende ging in Budenheim bei Mainz die 10. Wissenschaftskonferenz der DGB-Bildungsgewerkschaft GEW zu Ende. Vier Tage lang befassten sich rund 120 Wissenschaftler, Hochschulbeschäftigte und Studierende aus dem gesamten Bundesgebiet mit der Qualität von Lehre und Studium und aktuellen Fragen der Hochschulpolitik. Mit dem stellvertretenden GEW-Bundesvorsitzenden Andreas Keller sprach Hans-Gerd Öfinger. Foto: GEW/Kay Herschelmann
Grundlage dieser Konferenz war das Budenheimer Memorandum, mit dem sich die GEW in die aktuellen politischen Debatten einmischt.
Das Memorandum deckt einen Teilaspekt der Konferenz ab. Wir sind überzeugt, dass Qualität von Lehre und Studium eine gute Finanzierung und besonders auch bessere Betreuungsrelationen zwischen Lehrenden und Studierenden voraussetzt. Derzeit kommen an den Universitäten auf einen Professor im Schnitt 60 Studierende. In manchen Fachrichtungen sind es sogar 90 und mehr. Wir meinen, dass diese Relation auf 1 zu 40 gesenkt werden muss und fordern im Hinblick auf einen künftigen Hochschulpakt zwischen Bund und Ländern eine deutliche Aufstockung, Verstetigung und regelmäßige Erhöhung der Mittel.
Der aktuelle Hochschulpakt läuft 2020 aus. Im Memorandum bescheinigen sie diesem Pakt auch positive Folgen insbesondere für die ostdeutschen Länder.
In der Tat hätte der Bevölkerungsrückgang in den ostdeutschen Ländern zu einem Abbau der Studienplätze an den dortigen Hochschulen führen können. Wir sind froh darüber, dass Bund und Länder sich darauf geeinigt haben, dies nicht zu tun. Das ist eine Stärke des Hochschulpakts. Eine große Schwäche liegt allerdings darin, dass er immer nur für fünf Jahre lief. Wir fordern, dass ein künftiger Pakt auf Dauer die Grundfinanzierung der Hochschulen gewährleistet. Schließlich ist die hohe Zahl der Studienanfänger kein vorübergehendes Phänomen. Man wollte uns weismachen, dass dies durch doppelter Abiturjahrgänge aufgrund der Schulzeitverkürzung oder die Aussetzung der Wehrpflicht bedingt sei. Doch wir hielten dem entgegen: Die Bildungsbeteiligung steigt und heute nehmen weit über 50 Prozent eines Jahrgangs ein Studium auf. In anderen Ländern sind es gar 70, 80 oder 90 Prozent. Wir werden also weiterhin hohe Zahlen von Studienanfängern haben.
Sie bemängeln im Memorandum Befristungen und prekäre Beschäftigungsformen an Hochschulen, von denen vor allem Frauen überdurchschnittlich betroffen sind.
Der »akademische Mittelbau« macht den Löwenanteil der Lehre aus. Hier haben 90 Prozent der wissenschaftlichen Mitarbeiter einen Zeitvertrag, über die Hälfte dieser Arbeitsverträge läuft nicht einmal ein Jahr. Das geht auf Kosten der Kontinuität und Qualität der Lehre. Der Hochschulpakt hat dazu beigetragen, indem er den Hochschulen für eine befristete Zeit Gelder gibt und diese die Unsicherheit an das Personal weitergeben. In der Tat sind Frauen am stärksten von Zeitverträgen und Teilzeitbeschäftigung betroffen. Viele Stellen werden halbiert, um Geld zu sparen, aber stillschweigend wird volle Arbeit erwartet. Unsere Devise lautet: Dauerstellen für Daueraufgaben.
Sie kritisieren den Wettbewerb zwischen Hochschulen bei der Bewerbung um Gelder aus staatlichen Töpfen. Sogenannte Exzellenzuniversitäten bekommen zusätzliche Zuschüsse zu Lasten anderer Hochschulen. Dabei gibt es Gewinner und viele Verlierer.
Das Grundproblem ist nicht nur, dass zu wenig Geld im System da ist, sondern vor allem, dass immer mehr Geld in Wettbewerbe fließt. Mit der »Exzellenzstrategie« und der jüngsten Vorentscheidung über die Auswahl der Universitäten, die sich für den eigentlichen Elitestatus bewerben können, fließen Milliarden, um befristet Leuchttürme der Spitzenforschung an wenigen Eliteuniversitäten aufzubauen. Dieses Geld fehlt natürlich für die Grundfinanzierung des Studiums an den Hochschulen. Ein weiteres Beispiel sind Drittmittel, die überwiegend vom Staat über die staatlich finanzierte Deutsche Forschungsgemeinschaft in Wettbewerbe an die Hochschulen vergeben werden. Drittmittel wachsen schneller als die Grundfinanzierung. Dies ist ein künstlicher, staatlich finanzierter Wettbewerb, der genau diese Unsicherheit schafft.
Wie steht es um Drittmittel von Wirtschaft und Industrie?
Drittmittel, Auftragsforschung oder Sponsoring aus der Wirtschaft nehmen zu, aber bilden noch den geringeren Anteil. Das Problem liegt darin, dass die Wirtschaft nicht uneigennützig handelt. Wer eine Stiftungsprofessur finanziert, erwartet nach Auslauf der Förderzeit, dass die Professur verlängert wird, Räume zur Verfügung gestellt und die Erwartungen der Stifter erfüllt werden. Ich kann jeder Hochschule nur empfehlen, sehr genau hinzuschauen, wie bei einer solchen Kooperation die Kosten und Nutzen aussehen. Es kann nicht sein, dass Hochschulen zu verlängerten Forschungslabors von Industrieunternehmen werden. Das wäre falsch. Wir brauchen eine höhere, eine auskömmliche Grundfinanzierung, denn hier geht es letzten Endes auch um Hochschulautonomie und Wissenschaftsfreiheit. Dazu gehört auch ein vernünftiger Hochschulbau.
Wie steht es um Gebäude und Hochschulinfrastruktur insgesamt?
Leider haben Bund und Länder die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau abgeschafft und die Mittel laufen 2020 aus. Viele Länder wissen nicht, wie sie den akuten Investitionsstau an Hochschulen, der einschließlich Uniklinika auf knapp 50 Milliarden Euro beziffert wird, auflösen sollen, ganz abgesehen von den zusätzlichen Aufgaben der Digitalisierung.
In Hessen wollte man angeblich mit der Privatisierung der Uniklinika in Gießen und Marburg den Stau auflösen - ein Schritt, der bisher bundesweit keine Nachahmung gefunden hat.
Privatisierung ist ein Irrweg, weil natürlich ein privater Investor immer Profitinteressen hat und es am Ende für den Staat teurer wird. Das zeigen die vielen Private-Public-Partnership-Projekte bei der Infrastruktur. Es ist verrückt, dass der Staat sich derzeit quasi zu null Prozent Zinsen Geld für Investitionen leihen könnte, aber dann mit Privaten kooperiert, die natürlich Renditeerwartungen deutlich über dem Zinssatz der Banken haben.
Welche Rolle hat bei der Konferenz das Thema Studienfinanzierung über Bafög gespielt?
Bafög ist für uns ein Dauerthema. Die Große Koalition in Berlin hat hier eine Reform in Aussicht gestellt und eine Trendwende für 2020 versprochen. Die Bafög-Förderquote ist im freien Fall und liegt derzeit bei 12,7 Prozent aller Studierenden. Das bedeutet, dass sie bis 2020 weiter fallen soll und erst dann soll es langsam wieder aufwärts gehen. Eine solche Novelle greift zu kurz und kommt zu spät. Wir brauchen eine Bafög-Reform so schnell wie möglich, die auch den Rückstand der letzten Jahre ausgleicht, einen großen Sprung nach vorne macht und auch strukturelle Reformen beinhaltet, etwa automatische Anpassungen der Freibeträge und Fördersätze. Bafög muss wieder zu einem reinen Zuschuss werden, denn der hohe Darlehensanteil schreckt vor allem viele Studierende aus bildungsfernen Schichten ab.
Welche Bedeutung hat der Internationalismus für die GEW?
Im Zusammenhang mit den strukturellen Rahmenbedingungen für Qualität von Lehre und Studium haben wir in einem Forum die Verletzung der Wissenschaftsfreiheit am Beispiel Türkei thematisiert. Es ist ein bizarrer Widerspruch, wenn die Konferenz der europäischen Wissenschaftsminister im Rahmen des Bolognaprozesses sich zu Grundwerten, Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie bekennt, diese Werte aber derzeit in der Türkei, die am Bolognaprozess beteiligt ist, mit Füßen getreten werden. Dort werden kritische Wissenschaftler entlassen und ins Gefängnis gesteckt. An die Stelle von rund 8500 Wissenschaftlern an Hochschulen, die seit 2016 ihre Arbeit verloren haben, sind systemnahe Menschen ohne ausreichende Qualifikation getreten. Teilweise wurden aber auch Studiengänge und Lehrveranstaltungen ganz gestrichen. Ohne akademische Freiheit ist aber keine qualitativ hochwertige Bildung möglich.
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