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Machtwort der Fledermaus
Hambacher Klimaaktivisten feierten doppelten Erfolg: Vorläufiger Rodungsstopp und Aufhebung des Demoverbots
Die Stimmung am Freitagmorgen war unter den aktiven Gegnern der geplanten Waldrodung noch einigermaßen getrübt. Um 20.56 Uhr am Vorabend hatten sie von der Aachener Polizei die lakonische Mitteilung erhalten: »Versammlung nicht bestätigt«. Kein privater Grundstückseigentümer habe eine Fläche für den Protest in der Nähe des Hambacher Forsts zur Verfügung stellen wollen. Eine »erforderliche Sicherheitskonzeption« habe so nicht erstellt werden können, teilte teilte Aachens Polizeipräsident Dirk Weinspach mit.
Am Vormittag hellte sich die Stimmung dann allerdings erheblich auf. Überraschend verfügte das Oberverwaltungsgericht in Münster in einer Eilentscheidung einen Rodungsstopp im Hambacher Forst. Auch wenn damit noch kein Urteil im Hauptsacheverfahren vorweggenommen ist, zu dem eine Klage des Umweltverbands BUND führte - ein Aufschub ist auf jeden Fall erreicht.
Die Eilentscheidung am Freitag wurde mit dem komplizierten Sachverhalt und kistenweise vorliegenden Akten begründet, die analysiert werden müssten. Eine wichtige Rolle in diesen Akten spielen zwei Fledermausarten, die in der Gegend vorkommen und deren Erhalt nach Auffassung des Klägers im Falle einer Rodung gefährdet wäre. Es geht um die sieben bis zwölf Gramm schwere Bechsteinfledermaus, die zu den besonders gefährdeten Arten zählt, sowie um das ebenfalls seltene Große Mausohr, das sich außer im Wald auch gern auf den Dachböden von Kirchen oder Schlössern aufhält.
Es müsse geklärt werden, ob der Hambacher Forst, obwohl er der EU-Kommission bisher nicht nach der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH) als Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung gemeldet worden sei, wegen des Vorkommens etwa der Bechsteinfledermaus oder des dortigen Waldes dem Schutzregime für »potenzielle FFH-Gebiete« unterliege. Durch eine Rodung würden dagegen »vollendete, nicht rückgängig zu machende Tatsachen geschaffen«, betonten die Richter.
Zumindest vor 2019 ist nun kaum mehr mit einem Beginn der Rodungen zu rechnen, RWE rechne selbst mit dem Jahr 2020, wie es in Meldungen am Freitag hieß. Wenn die geplanten Rodungen denn überhaupt Bestand haben. Der Rechtsstreit dürfte sich jedenfalls über Monate hinziehen, wie eine Sprecherin des Kölner Verwaltungsgerichts der Düsseldorfer »Rheinischen Post« mitteilte. Auch ein mehrjähriger Rechtsstreit lasse sich nicht ausschließen. Gegen die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts, wo das Hauptsacheverfahren anhängig ist, könne dann wiederum rechtlich vorgegangen werden, so die Sprecherin.
Auch Meldungen über den wegen des verfügten Rodungsverbots erwarteten finanziellen Verlust von RWE konnten bei den Wald- und Klimaschützern kaum Mitleid wecken. Man gehe von einem niedrigen dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr aus, teilte das Unternehmen am Nachmittag mit. Hingegen sprach Dirk Jansen, Geschäftsführer des BUND Nordrhein-Westfalen, am Freitag in Köln von einem »großen Erfolg unserer langjährigen Bemühungen«. Er bezeichnete die Gerichtsentscheidung über den Rodungsstopp als »Zäsur für den Umweltschutz«. Auch Christoph Bautz von der Bürgerrechtsbewegung Campact wertete den Gerichtsentscheid als einen Sieg für den Umweltschutz: »Was Gorleben für den Atomstreit war, wird der Hambacher Wald für den Kohleausstieg sein.«
Auch wenn diese neue Lage dem Protest mehr Luft verschafft, wollte am Freitag niemand Abstand von der am Sonnabend geplanten Demonstration nehmen. Denn der Konflikt bleibt unverändert bestehen. Das von der Polizei angeführte Fehlen geeigneter Fläche für die Demonstration selbst ist Beleg für diesen Konflikt. Denn RWE ist größter Eigentümer an Land in der Gegend. Die Organisatoren warfen in dem Zusammenhang besonders RWE-Chef Rolf Martin Schmitz Wortbruch vor, der in mehreren Interviews sagte, dass er friedlichen Protest gutheiße.
Erleichterung dann am Nachmittag, als der zweite gerichtliche Erfolg des Tages bekannt wurde: Das Verwaltungsgericht Aachen hatte das Demonstrationsverbot aufgehoben. Es folgte damit einem Eilantrag der Organisatoren, die mit ihrem Widerstand gegen das Demoverbot bis zum Bundesverfassungsgericht zu gehen bereit waren. Die Polizei kündigte an, die Entscheidung zu akzeptieren und nicht vor das Oberverwaltungsgericht in Münster zu ziehen.
Umweltverbände und Initiativen, darunter auch die jüngst gegründete Bewegung »Aufstehen«, rechneten mit 20 000 Teilnehmern und bekundeten ihren unveränderten Willen anzureisen. Über 100 Busse aus ganz Deutschland haben sich angekündigt, und in den sozialen Netzwerken machte sich schnell eine »Jetzt erst recht« Stimmung breit. Viele Menschen kündigten am Freitag vor der letzten Gerichtsentscheidung an, im Zweifel spontan spazieren zu wollen.
Die Polizei könne Auflagen für die Versammlung erlassen, mit denen die bestehenden Sicherheitsbedenken entschärft werden könnten, erläuterte das Gericht. Erst wenn trotz solcher Auflagen wegen des Ablaufs der Versammlung oder wegen eines außergewöhnlichen An- und Abreiseverkehrs eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben bestehe, komme ein Verbot der Versammlung als äußerstes Mittel in Betracht. Mit Agenturen
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