Werbung

Türkei wirft Gewerkschafter Terrorismus vor

Organisator der Istanbuler Flughafenproteste verhaftet

  • Svenja Huck
  • Lesedauer: 3 Min.

Özgür Karabulut ist der Vorsitzende der linken Gewerkschaft Dev Yapı-İş, die Teil der Gewerkschaftskonföderation DİSK ist. Am 4. Oktober wurde Karabulut vor dem Gewerkschaftsgebäude in Istanbul festgenommen, am Tag darauf beschloss ein Gericht für ihn Untersuchungshaft. Deren Dauer ist in der Türkei unbefristet. Karabulut wird eine Rede zum Vorwurf gemacht, die er an die streikenden Arbeiter auf der Baustelle des dritten Flughafens in Istanbul richtete. Darin sagte er: »Bauarbeiter kommen hier entweder in die Nachrichten, wenn sie sterben, oder wenn sie Widerstand leisten. Heute habt ihr euch für den Widerstand entschieden und ihr werdet ihn fortführen!«

Auf der Baustelle sind rund 40 000 Arbeiter beschäftigt, von denen ein Viertel am 14. September spontan in den Streik trat. Aus ihren Forderungen wird deutlich, unter welchen Bedingungen sie dort arbeiten. Monatelang nicht ausgezahlte Gehälter, Unterkünfte in gesundheitsschädlichem Zustand und erniedrigender Umgang der Vorgesetzten sind nur einige Beispiele. Bereits im Frühjahr dieses Jahres deckte die Zeitung »Cumhuriyet« auf, dass die Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle - von den türkischen Gewerkschaftern als »Arbeitsmord« bezeichnet - vom Arbeitsministerium geschönt wurde. Über 400 Menschen sollen dort umgekommen sein.

In seiner Rede ermahnte Karabulut außerdem: »Wenn ihr euch fragt, warum der Streik so wenig mediale Aufmerksamkeit hat, dann liegt es daran, dass wir unorganisiert sind. Doch wenn wir uns vereinigen, dann kann uns keiner aufhalten.« Die Zahl gewerkschaftlich organisierter Arbeiter am Flughafen beläuft sich momentan nur auf ein paar Dutzend. Doch Karabulut agitiert weit mehr als seine Mitgliedschaft, weshalb er nun in den Fokus der Repression gerückt ist.

Die DİSK-Vorsitzende Arzu Çerkezoğlu verurteilte die Verhaftung scharf: »Karabulut hat den Widerstand derjenigen angeführt, die man am Arbeitsplatz ermordete, die keine Löhne gezahlt bekamen und deren Körper von Bettwanzen angefressen wurden. Es kann kein Verbrechen sein, wenn der Vorsitzende einer Gewerkschaft seine Arbeit erledigt. Wenn er nun verhaftet wird wegen der gewerkschaftlichen Tätigkeit, die er über die letzten zwei Wochen betrieben hat, dann ist das Ziel dahinter, Gewerkschaftsarbeit zu kriminalisieren.«

Recep Tayyip Erdoğan bezeichnete derweil die am Flughafen protestierenden Arbeiter auf einem Parteitreffen der AKP als »Terroristen«. Obwohl der Staatspräsident immer wieder die scheinbare Unabhängigkeit der Justiz betont, ist sein Statement ein Indikator für das Strafmaß, das Karabulut nun erwartet. Der dritte Flughafen in Istanbul ist eines der Prestigeprojekte Erdoğans, dessen Eröffnung für den 29. Oktober geplant ist. Das ist der Jahrestag der Republiksgründung. Da die Proteste die Eröffnung nicht verzögern sollen, wurde mit aller Härte dagegen vorgegangen. Neben Karabulut befinden sich 34 weitere am Streik beteiligte Arbeiter in Haft. Die spanische Gewerkschaft UGT (Unión General de Trabajadores) erklärte auf Twitter ihre Solidarität für Karabulut.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.