Massenprotest gegen Braunkohle

Samstag war alles anders: Polizisten stoppten die Demonstranten nicht mehr, Barrikaden wurden wieder aufgebaut. Die Anti-Kohle-Bewegung ist zum Nachfolger der Anti-AKW-Bewegung avanciert

  • Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 4 Min.

Eigentlich ist ein Erdwall, den RWE vor Jahren hinter dem Hambacher Forst aufgeschüttet hat, bei jedem Protest am Tagebau die Grenze. Wer den Erdwall überschreitet, der muss damit rechnen, vom Energiekonzern wegen Hausfriedensbruchs angezeigt zu werden, und landet schnell in Polizeigewahrsam. Wenn, wie bei »Ende Gelände« im letzten Jahr, der Wall überschritten wird, dann wird die Polizei nervös, jagt Demonstranten, Pfefferspray und Knüppel kommen zum Einsatz.

Am Samstag war alles anders. Hinter dem Wall hatten sich zwar einige Polizeikräfte postiert, aber als immer mehr Menschen zur Abbruchkante des Tagebaus Hambach strömen, da beschränken sich die Beamten nur darauf zu sagen, dass es »lebensgefährlich« sei, zu nah an die Kante zu gehen, und man vorsichtig sein solle. Eine Lautsprecherdurchsage, die Aussicht an den offiziellen »Sightseeing-Punkten« sei »phänomenal«, erzielt auch nicht den gewünschten Erfolg. Tausende Menschen und einige Hunde strömen an die Abbruchkante, blicken in das bis zu 400 Meter tiefe Loch und schreien einem Braunkohlebagger immer wieder »Kohle stoppen!« und »Hambi bleibt!« entgegen.

Einige besonders wagemutige Demonstranten steigen hinab auf die oberste Ebene des Tagebaus. Aus ihren Körpern formen sie die allgegenwärtige Botschaft »Hambi bleibt!«, ein beliebtes Fotomotiv für die Menschen, die oben an der Kante stehen. Allgemein wird viel fotografiert, Selfies an der Abbruchkante sind der Hit. Nach ein paar Fotos und vielleicht noch einem kurzen Picknick an der Kante gehen die Demonstranten auch wieder zurück in den Wald und zur Großkundgebung. RWE ist trotzdem gezwungen, aus Sicherheitsgründen drei Bagger abzuschalten. Ein weiterer Erfolg für die 50.000 Menschen, die für das Ende der Braunkohleverstromung demonstrieren.

Die Großkundgebung ist, wie Großkundgebungen eben so sind. Von Wagenknechts Aufstehen, bis zum Stromanbieter von Greenpeace haben alle Organisationen, die irgendwas zum Thema zu sagen haben Stände aufgebaut. Fahnen werden verkauft, Broschüren zu den unterschiedlichsten Themen angeboten. Zwischen Rede- und Musikbeiträgen wird von der Bühne animiert, Parolen zu rufen und Schilder hochzuhalten. Dafür, dass Fotografen gute Bilder schießen können, ist gesorgt, gleich zwei Hubsteiger haben die Demo-Organisatoren aufgestellt. Die Bilder der Menschenmassen werden während die Kundgebung läuft, fleißig über Social-Media-Kanäle verteilt. BUND, Campact, Greenpeace und Naturfreunde wissen, wie man medienwirksame Großproteste organisiert.

Auch zu den Organisatoren gehört die lokale Initiative »Buirer für Buir«. Seit Jahren setzt sich die Initiative für den Erhalt des Hambacher Forstes ein. Ihr bekanntestes Gesicht ist Antje Grothus, die auch in der sogenannten Kohlekommission sitzt. In ihrer Rede berichtet Grothus vom langen, einsamen Kampf gegen RWE, nennt die Menschen die immer schon dabei waren. Sie lobt die Waldbesetzer, ohne die der Hambacher Forst nie zu dem Thema geworden wäre, dass er heute ist. Antje Grothus hat auch eine klare Einschätzung der Vorgänge in den letzten Wochen: »Gerichte mussten durchsetzen, was eigentlich Aufgabe der Politik ist, nämlich wertvolle Natur zu schützen vor den rücksichtslosen und rechtswidrigen Plänen eines Energiekonzerns.« Den Rodungsstopp im Hambacher Forst müsse die Bundesregierung nutzen, um endlich den Kohleausstieg »ambitioniert« anzugehen. Gegenüber dem »nd« zieht Antje Grothus am Abend nach der Kundgebung ein durch und durch positives Fazit des Tages: »Dass Zehntausende am abgelegenen Hambacher Wald, unweit meines Zuhauses, für einen schnellen Kohleausstieg demonstrieren, hat mich sehr bewegt und berührt.« Der Tag habe sie »bestärkt und motiviert«, sich weiter für den Wald und die vom Tagebau Garzweiler gefährdeten Dörfer einzusetzen.

Auch im Hambacher Wald passiert am Samstag viel. Während Waldwege wieder verbarrikadiert werden, hat das Bündnis »Ende Gelände« dazu aufgerufen, mit roten Hängematten im Wald Platz zu nehmen. Und während die einen, in den Hängematten entspannen, entsteht in den Baumwipfeln über ihnen das erste neue Baumhausdorf, das auf den Namen »Grüne Frieda« getauft wird. Bewohner des geräumten Baumhausdorfes Oaktown zeigen sich begeistert vom Tag. »Wunderschön, so viel Solidarität aus allen Ecken der Welt zu bekommen und mehr als fünfzigtausend Menschen zu sehen, die sich von überall her auf den Weg zum Wald gemacht haben, um die Bewegung vor Ort zu unterstützen.« Und auf noch etwas weisen die Menschen aus Oaktown hin: »Die Menschen lassen sich nicht mehr abschrecken und einschüchtern, sondern holen sich gemeinsam den Wald zurück.« Dabei haben die Demonstranten am Samstag allerdings auch verdammt leichtes Spiel. Die Motivation, irgendwelche Barrikaden zu räumen, geht bei vielen der eingesetzten Polizeikräfte gegen Null. Sie fragen sich, ob ihr wochenlanger Einsatz sinnlos war.

Der Samstag hat gezeigt: die Anti-Kohle-Bewegung ist der Nachfolger der Anti-Atom-Bewegung. Sie kann zehntausende Menschen mobilisieren, und vom linksradikalen Autonomen bis zum Naturschützer kann in ihr jeder einen Platz finden. Gepaart mit der massenhaften Bereitschaft zum Regelverstoß könnte sie es schaffen, den Kohleausstieg zu beschleunigen. Allerdings rückt mit dem Hambacher Forst eines ihrer wichtigsten Symbole für die nächsten ein bis zwei Jahre in den Hintergrund. Ob es auch gelingt, Massen in die Dörfer zu mobilisieren, die abgebaggert werden sollen und in denen es viele widersprüchliche Interessen gibt, wird über den Erfolg der Bewegung entscheiden.

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