»Zwei Letten, drei Parteien«

Nach den Parlamentswahlen in Lettland ist ein Regierungswechsel wahrscheinlich

  • Toms Ancitis, Riga
  • Lesedauer: 4 Min.

Lettland geht es so gut wie noch nie - so verkünden es zumindest die aktuellen Wirtschaftsdaten. Das Bruttoinlandsprodukt wächst, die Löhne steigen und es herrscht praktisch Vollbeschäftigung. Zwar gilt das Land im westeuropäischen Vergleich immer noch als arm, doch inzwischen ist die Wirtschaftskrise aus dem Jahr 2008 längst erfolgreich überwunden.

Auch mit dem Thema Migration und Flüchtlinge, das gerade in so vielen europäischen Gesellschaften Rechtspopulisten Erfolge gebracht hat, kann man in Lettland kaum politisch punkten. Die meisten der einigen hundert Flüchtlinge, die Lettland im Rahmen des EU-Umverteilungsprogramm von Flüchtlingen aufnahm, haben wegen der geringen staatlichen Unterstützung das Baltikum bereits wieder Richtung Deutschland verlassen. Seitdem interessiert das Thema die Öffentlichkeit nur am Rande. Deutlich präsenter ist die Angst vor Russland, die schon seit Jahren die öffentliche Diskussionen prägt. In diesem Zusammenhang konnte die amtierende Regierung einige Erfolgsgeschichten vorweisen: kanadische NATO-Truppen sind langfristig im Land stationiert und die Verteidigungsausgaben wurden kürzlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes erhöht.

Trotz dieses vermeintlich guten Ausblicks haben die Letten am vergangenen Samstag die bisherige Mitte-Rechts-Regierung abgewählt. Dabei entfällt fast ein Drittel der Stimmen auf populistische Parteien. Das vom Ministerpräsident Māris Kučinskis vertretene konservative Bündnis der Grünen und Bauern sowie die rechte Nationale Allianz und die Mitte-Rechts-Partei Neue Einheit, die bisher gemeinsam die Regierung bildeten, haben deutliche Verluste erlitten. Stattdessen sind die populistische »Wem gehört der Staat?« (KPV LV, 16 Plätze von 100), die »Neue Konservative Partei« (16 Plätze) sowie die liberale und prowestliche »Für die Entwicklung/Dafür!« (13) neu ins Parlament eingezogen.

Weder rechts noch links, Hauptsache gegen die »alte« Elite und die etablierte »Lügenpresse« - so lässt sich die ideologische Richtung von KPV beschreiben. Sie will die Anzahl der Ministerien von 13 auf sieben reduzieren, die Preise für Arzneimittel senken und »die politische Macht konzentrieren«. Doch ihre Bekanntheit beruht weniger auf dem Parteiprogramm als auf ihrem Gründer, dem Schauspieler Artuss Kaimiņš.

Der 37-jährige war in der aktuellen Legislaturperiode noch Parlamentsabgeordneter einer anderen Kleinpartei. Populär wurde Kaimiņš mit seinem Videoblog »Hundehütten«. Mit einer kleinen Videokamera ausgerüstet filmt er sich und andere Politiker. In den Gesprächen provoziert er oft mit Beschimpfungen und demütigenden Fragen, um danach die Videos ins Internet zu stellen, damit in der Bevölkerung die »Wahrheit« bekannt wird.

Zwar ist die »Neue Konservative Partei« in ihrer Rhetorik weniger aggressiv. Doch auch sie hat in ihrer Programmatik autoritäre Züge. Sie fordert die staatlichen Sicherheitsdienste, wie die Sicherheitspolizei und den Verfassungsschutz in eine »Großsicherheitsbehörde« zu vereinen und die »patriotische Erziehung« fördern. Darüber hinaus verspricht sie eine Erhöhung der Renten und sagt der Korruption den Kampf an.

Wie lässt es sich erklären, dass die lettische Bevölkerung gerade in relativ guten Zeiten zu Populisten neigt? Es ist möglich, dass die steigende soziale Ungleichheit zur Protestwahl geführt hat. Ein weiterer Grund könnte in der Kommunikation der Regierungsparteien liegen, die die Probleme der Menschen nicht ausreichend berücksichtigt. »Kaimiņš spricht unsere Sprache«, dieser Satz ist auf Seiten der Unterstützer der KPV und in den sozialen Netzwerken oft zu lesen. Besonders bemerkenswert ist, dass die im europäischen Ausland, insbesondere in Großbritannien, lebenden Letten, einen bedeutenden Anteil der KPV-Anhängerschaft ausmachen. Dieses Milieu treibt die Wut über die angebliche Korruption der Politik in die Arme der Populisten.

Anders als in den etablierten westlichen Demokratien sind alle Parteien in Lettland in gewissem Sinne neu - und was die Mitgliederzahlen betrifft klitzeklein. Deshalb ist es nicht ungewöhnlich, dass nach einer Wahlperiode eine oder mehrere Parteien sich in viele neue Kleinparteien spaltet, die sich nach einiger Zeit wieder zu einer größeren Partei zusammenschließen. »Wo es zwei Letten gibt, dort gibt es drei Parteien«, lautet ein klassisches Sprichwort.

Doch so zersplittert wie heute ist die politische Landschaft des Landes seit den 1990er Jahren nicht mehr gewesen. Es ist ein »Flickenteppich« entstanden aus dem man nichts bauen kann, bewertete der Politologe Filips Rajevskis kürzlich das Ergebnis im Fernsehen. Daher schließen Beobachter auch Neuwahlen nicht mehr aus.

Die Partei mit den meisten Vertretern im lettischen Parlament, der Saeima, trägt den Namen »Harmonie«. Sie stellt in der neuen Legislaturperiode 23 Abgeordneten und verfügt damit über nur einen Sitz weniger als zuvor. Obwohl die Partei sich selbst als sozialdemokratischversteht, gilt sie für viele Bürger in Lettland als »prorussisch«, die den »Einfluss des Kreml« sicherstellen soll. Deshalb war sie bisher - trotz ihrer Wahlerfolge - noch nie an einer Regierung beteiligt.

Die übrigen Parteien, die im Sprachgebrauch als »lettische« Parteien gelten, haben bereits vor den Wahlen eine Zusammenarbeit mit Harmonie ausgeschlossen. Vjacheslaws Dombrovskis, der Spitzenkandidat der Harmonie, besteht allerdings darauf, dass - gemäß der demokratischen Logik - seine Partei mit der Regierungsbildung beauftragt werden sollte: »Ich finde es moralisch unakzeptabel, dass rote Linien gegenüber den Menschen gezogen werden, die eine andere Partei unterstützt haben«, kritisierte er. Ohne Harmonie, so betont Dombrovskis, werde eine Regierungsbildung nicht gelingen.

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