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»Wir brauchen endlich Solidarität«
»Unteilbar«-Bündnis ruft zu Großdemonstration am Samstag mit 40 000 Teilnehmern auf
Für Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, ist die Bundesrepublik derzeit ein gespaltenes Land. »Wir haben einen Höchststand an relativer Armut und einen Höchststand an Wohnungsnot«, erklärte der Geschäftsführer auf der Pressekonferenz des »unteilbar«-Bündnisses am Mittwoch in Berlin. Projekte der Mitgliedsverbände für queere Menschen, Behinderte oder Flüchtlinge würden angefeindet werden. Auch die Berliner Migrationsforscherin Naika Foroutan kann die Spaltung bestätigen. »Die Ungleichheit ist heute so hoch wie 1913 und die Armutsgefahr für Migranten dabei noch doppelt so hoch.« Nach Einschätzung der Wissenschaftlerin herrscht in Europa ein »Klima der Menschenverachtung«. Obwohl die Zahl der Migranten zurückgehe, nähmen rechte Kräfte zu. Die Antwort darauf liegt für Foroutan und Schneider auf der Hand. »Wir brauchen endlich wieder Solidarität untereinander«, so der Verbandschef.
Die Chancen stehen tatsächlich gut, dass diese am Samstag in Berlin sichtbar werden könnte. Mehr als 4500 Organisationen und Einzelpersonen haben den Aufruf zur Großdemonstration des »unteilbar«-Bündnisses unterschrieben. Die Unterzeichnenden sind äußerst vielfältig und reichen von Amnesty International über den Chaos Computer Club, den Motorradclub »Kuhle Wampe« bis zum Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung. Erwartet werden laut Bündnissprecherin Anna Spangenberg etwa 40 000 Menschen. »Der Arbeiter-Samariter-Bund aus Sömmerda will geschlossen kommen, auch das Bürgerbündnis gegen Rechts aus Neuruppin hat gerade seine Fahrt angekündigt«, sagte die Sprecherin erfreut.
Unter dem Motto »unteilbar - Solidarität statt Ausgrenzung« wird sich somit voraussichtlich am Samstag ein beachtlicher Teil der Zivilgesellschaft der Bundesrepublik in Berlin auf der Straße sammeln und Farbe bekennen: Für eine offene und solidarische Gesellschaft, gegen Rassismus und Rechtsruck. Anna Spangenberg betonte: »Sozialstaat, Flucht und Migration dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.«
Die Demonstration soll nach einer Auftaktkundgebung auf dem Alexanderplatz über den Potsdamer Platz und das Brandenburger Tor zur Siegessäule führen. Als Redner sind unter anderem Amnesty-Generalsekretär Markus Beeko, die Publizistin Ferda Ataman, Streikende der Fluggesellschaft Ryanair, die Berliner evangelische Generalsuperintendentin Ulrike Trautwein, Lala Süsskind vom Jüdischen Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus sowie Sprecher der Interventionistischen Linken und der »Seebrücke«-Bewegung angekündigt. Musik gibt es unter anderem von Konstantin Wecker, Dirk von Lowtzow und Herbert Grönemeyer.
Laut den Veranstaltern reiht sich auch die »unteilbar«-Demonstration in den »Herbst der Solidarität« ein. In Hamburg nahmen zuvor an der antirassistischen »We’ll Come United«-Parade am 29. September rund 30 000 Menschen teil, etwa 40 000 gingen am 3. Oktober in München unter dem Motto »Gemeinsam gegen die Politik der Angst« auf die Straße. Tausende Unterstützer der »Seebrücke«-Bewegung demonstrieren nach wie vor im ganzen Bundesgebiet. »Immer mehr Menschen wachen aus ihrer Schockstarre auf«, ist sich Forscherin Naika Foroutan sicher.
Kurz vor der Pressekonferenz des »unteilbar«-Bündnisses hatte Sarah Wagenknecht, Linksfraktionsvorsitzende und Mitinitiatorin des Sammlungsprojektes »Aufstehen«, für Unverständnis bei vielen Aktivisten und Linksparteipolitikern gesorgt. Über die offiziellen Kanäle von »Aufstehen« die Großdemo - im Gegensatz zu den Protesten zum Erhalt des Hambacher Forstes - nicht zu bewerben ist das eine. Darüber hinaus hat sich Wagenknecht am Dienstagabend im Gespräch mit ihrer Stellvertreterin Gesine Lötzsch bei der Podiumsveranstaltung »Wege in eine gerechte Gesellschaft« in Berlin jedoch grundsätzlicher von »unteilbar« abgegrenzt. »Ich halte es für absolut richtig, wenn Leute gegen Rassismus und Rechtsentwicklung auf die Straße gehen«, sagte die Abgeordnete. »Aber in dem Aufruf sehe ich eine Tendenz, und zwar, dass die Position ›offene Grenzen für alle‹ als bestimmende Position dargestellt wird.« Damit würde man Menschen ausgrenzen, die sich zwar gegen Rassismus stellten, aber offene Grenzen ablehnen. »Formal« beteilige sich »Aufstehen« nicht an der Demonstration, wenn auch einige Unterstützer sicher hingehen würden.
Auf welchen Teil des »unteilbar«-Aufrufes sich Wagenknecht in ihrer Äußerung bezog, ist unklar. Die Formulierung »offene Grenzen« ist dort nicht zu finden, lediglich: »Für das Recht auf Schutz und Asyl - Gegen die Abschottung Europas!«. Weder Wagenknecht noch »Aufstehen« haben bis zum Redaktionsschluss auf Nachfragen von »nd« geantwortet.
Zahlreiche Linksparteipolitiker übten Kritik an den Äußerungen der Fraktionsvorsitzenden. Es gibt einen Block der Linkspartei auf der Demo, die Fraktion hatte die Unterstützung offiziell beschlossen. »Dass Sarah Wagenknecht und ›Aufstehen‹ sich nicht an der Demonstration beteiligen wollen, halte ich für einen großen Fehler«, schrieb der LINKE-Abgeordnete Stefan Liebich. »Da zeigt sich eben, dass [bei ›Aufstehen‹] von oben durchregiert wird und das Geschwafel von Beteiligung Augenwischerei ist«, meinte der Abgeordnete Niema Movassat. »Dass ›Aufstehen‹ die ›Unteilbar‹-Demo nicht unterstützt, spricht Bände«, führte die Abgeordnete Caren Lay aus. Für die Linkspartei sei dies »selbstverständlich«.
Der ehemalige LINKE-Abgeordnete Jan van Aken wollte die Entscheidung über die Teilnahme von »Aufstehen«-Unterstützern bei der »unteilbar«-Demo nicht Wagenknecht überlassen: »Ich rufe alle Mitmacher von ›Aufstehen‹ auf, am Samstag mit dabei zu sein.«
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