Aktivisten planen schon mal vor

Bis Juli 2019 muss der Entwurf des künftigen Radwegenetzes vorliegen

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein paar hundert Meter geschützter Radstreifen auf der Holzmarktstraße hätten im September fertig sein sollen. Die Arbeiten laufen noch.
Ein paar hundert Meter geschützter Radstreifen auf der Holzmarktstraße hätten im September fertig sein sollen. Die Arbeiten laufen noch.

»Mit unserem Entwurf für ein Radverkehrsnetz der Zukunft erschließen wir die Stadt flächendeckend«, sagt Jens Steckel vom Verein Changing Cities, der aus dem Radentscheid hervorgegangen ist. Gemeinsam mit dem Fahrradclub ADFC Berlin, dem alternativen Mobilitätsclub VCD Nordost sowie dem Umweltverband BUND Berlin wurde vor allem von Ehrenamtlichen in den vergangenen zehn Monaten ganze Arbeit geleistet. Rund 30 Aktivisten aus allen Bezirken außer Spandau haben auf Basis der Vorgaben des im Juli in Kraft getretenen Mobilitätsgesetzes die verschiedenen Ebenen des künftigen Radwegenetzes ausgearbeitet.

Denn entsprechend dem Gesetz muss die Senatsverkehrsverwaltung bis Juli 2019 einen Entwurf vorlegen, der Radschnellverbindungen enthält, ein Vorrangnetz für Radler mit Vorfahrt vor dem motorisierten Individualverkehr, sichere und ausreichend breite Radwege an Hauptstraßen sowie Fahrradstraßen. Dem entsprechenden Planungsbüro, das dieses Netz ausarbeiten soll, werden nur wenige Monate bleiben, da das Vergabeverfahren erst läuft.

Dementsprechend haben die Aktivisten - wie so oft bei dem Thema - bereits vorgearbeitet. »Wir haben eine ziemlich solide Erfahrungsgrundlage in den Bezirken«, erklärt Heiner von Marschall, Vorsitzender des VCD Nordost. Vor allem die aus dem Radentscheid hervorgegangenen fahrradfreundlichen Bezirksnetzwerke hatten hier das Sagen.

Da es schon einen Entwurf der Verkehrsverwaltung für die Radschnellwege gibt, haben sich die Ehrenamtlichen auf das sogenannte Vorrangnetz konzentriert. Dafür haben sie rund 1000 Kilometer Routen entwickelt. Dazu gehören laut Gesetz besonders wichtige Verbindungen von stadtweiter Bedeutung. Für schnelles Vorankommen sollen unter anderem auf Fahrradgeschwindigkeit optimierte Ampelschaltungen sorgen. Wo es sich anbot, wurden diese Strecken jenseits des rund 1600 Kilometer langen Hauptstraßennetzes angelegt.

Ein Beispiel dafür ist die Ost-West-Verbindung im Zuge der B1/B5. Während die Vorrangroute vom Stadtrand kommend zunächst direkt auf der Magistrale verläuft, soll sie stadteinwärts hinter dem S-Bahnhof Frankfurter Allee leicht nördlich über Rigaer Straße, Weidenweg und Palisadenstraße zur Mollstraße führen, um schließlich auf die bereits als Fahrradstraße etablierte Linienstraße zu schwenken.

Von Marschall hält die parallel zur Torstraße führende Straße für ein gutes Beispiel, wie attraktive Infrastruktur funktioniert. »Sie sehen kaum Radverkehr in den parallel führenden Straßen.« Das Netzwerk fahrradfreundliche Mitte hat auch für diese Fahrradstraße bereits ein Konzept ausgearbeitet, um echten Vorrang zu gewährleisten.

Jenseits der Hauptstraßen nach Vorrangrouten zu suchen, hat einige Vorteile. Einerseits lässt sich die Vorfahrt für Zweiräder meist mit wesentlich weniger Prioritätenkonflikten realisieren. Andererseits ist der bauliche Aufwand wesentlich geringer. Am Straßenquerschnitt mit Bäumen, Masten, Bordsteinen und zahlreichen unterirdischen Leitungen muss meist nichts geändert werden. Für die Nebenstraßen haben die Aktivisten weitere 2000 Kilometer Fahrradnetz ausgearbeitet.

»Wir erwarten, dass der Ausschreibungsgewinner zügig mit uns Kontakt aufnimmt«, sagt von Marschall. »Wir sehen unseren Entwurf als systematische Arbeitsgrundlage«, erklärt Jens Steckel von Changing Cities. Er fordert mehr Transparenz nicht nur bei der Planung, sondern auch bei der Umsetzung. Der Projektstand sei von außen »schwer nachzuvollziehen«. Vor allem müssten Ergebnisse des Radgesetzes schnell auf der Straße zu sehen sein. »Wenn es im gegenwärtigen Tempo weitergeht, dann dauert das noch 100 Jahre«, befürchtet er.

Diese Sorge ist nicht von der Hand zu weisen. Von 89 Radwegvorhaben, für die die Bezirke 2017 vom Senat Geld bewilligt bekommen hatten, sind bisher zehn realisiert, wie die Antwort auf eine Schriftliche Anfrage des LINKE-Abgeordneten Wolfgang Albers zeigt.

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