Gegen die Straffreiheit für Konzerne

Beginn der UN-Verhandlungen über einen Vertrag zu Wirtschaft und Menschrechten - die EU-Linke unterstützt dies

  • Peter Eßer, Brüssel
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Ölkatastrophe im Nigerdelta, die Ermordung der Umweltaktivistin Berta Cáceres in Honduras, der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch - drei Beispiele für unfassbares Unrecht, das auf die rücksichtslose Durchsetzung von Konzerninteressen zurückzuführen ist. «Das Problem ist, dass für transnationale Unternehmen oft weitgehende Straffreiheit herrscht», beklagt der LINKE-Europaabgeordnete Helmut Scholz. Ein verbindlicher UN-Vertrag zur Einhaltung der Menschenrechte durch internationale Konzerne könne dies ändern.

Scholz moderierte am Donnerstag eine Konferenz der Linksfraktion im Europaparlament in Brüssel, bei der Politiker und Aktivisten über einen entsprechenden Vertragsentwurf diskutierten. Die offiziellen Vertragsverhandlungen bei der UNO beginnen an diesem Montag in Genf.

«Die Unternehmen diktieren die Gesetze, es gilt das Recht des Stärkeren», beklagte die brasilianische Aktivistin Txena Maso. Die grassierende Korruption in ihrem Heimatland sei ein offenes Geheimnis, die Verflechtungen von Unternehmern und Volksvertretern bestimmten die Politik. Die Unzufriedenheit sei so groß, dass ein rechtsextremer Kandidat beste Aussichten auf das Präsidentenamt hat. «Der Faschismus greift in Südamerika um sich», kommentierte Lilian Galán, Abgeordnete im Parlament von Uruguay, die besorgniserregende Entwicklung beim großen Nachbarn. Das habe auch mit der Straflosigkeit für große Konzerne zutun. «Uruguay ist als kleines Land mit hohen ausländischen Direktinvestitionen besonders angreifbar», sagte Galán. Sie setzt daher große Hoffnung in den UN-Vertrag über Pflichten von Konzernen in Menschrechtsfragen.

Der Vertragsentwurf geht auf die «Treaty Alliance» zurück, einen Zusammenschluss mehrerer hundert zivilgesellschaftlicher Organisationen. Das Bündnis, das sich 2013 nach der Katastrophe in der Textilfabrik in Bangladesch formierte, setzt sich seitdem bei der UNO für verbindliche Regeln für transnationale Konzerne ein. 2014 gründete der UN-Menschenrechtsrat eine Arbeitsgruppe. Nun gibt es den Vertragsentwurf. Kritiker führen gewöhnlich an, dass es ein verbindliches Rechtssystem für Unternehmen auf internationaler Ebene noch nie gegeben habe. Für den US-Soziologen Harris Gleckman ist das jedoch kein Argument: «In der heutigen globalisierten Welt, in der Unternehmen oft mehr Macht haben als Staaten, brauchen wir eben ein neues System.»

Die niederländische EU-Abgeordnete Anne-Marie Mineur ist seit 2013 an den Gesprächen beteiligt. Am Donnerstag übte die Sozialistin scharfe Kritik an der bisherigen Position der Europäer: «Die außenpolitischen EU-Vertreter haben den Vorgang auf UN-Ebene bisher blockiert. Und auch aus den Mitgliedstaaten kam nichts, obwohl es teils schon nationale Gesetze in diese Richtung gibt.» Frankreich etwa verabschiedete 2017 als erstes europäisches Land ein Gesetz, das Unternehmen für unverantwortliche Geschäftspraktiken im Ausland verantwortlich macht.

Die britische Sozialdemokratin Jude Kirton-Darling gibt sich dennoch optimistisch: «In Europa gibt es immer mehr Menschen, die einen Wandel wollen, damit Freihandel und Globalisierung allen zugutekommt.» Auch auf legislativer Ebene habe es Fortschritte gegeben, etwa die EU-Regelung zum Import von Mineralien aus Konfliktzonen oder die Holzhandelsverordnung zum Schutz der Wälder. Eine Woche zuvor hatte das Europaparlament auch beim UN-Vertrag einen Schritt nach vorne gemacht. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte dafür, dass die EU sich für den UN-Vertrag einsetzen soll. «Jetzt hat der Vertrag die offizielle Unterstützung des Parlaments», freut sich Kirton-Darling.

Auch aus einigen Mitgliedstaaten kamen vor den Verhandlungen in Genf positive Signale - jedoch nicht aus Deutschland. «Die Bundesregierung blockiert jeglichen Fortschritt», beklagte die LINKE-Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel. «Dabei stehen deutsche Unternehmen im Ranking der meisten Menschenrechtsverletzungen an fünfter Stelle weltweit.» Die katholische Hilfsorganisation Misereor warnte in einer Erklärung vor einer Blockade Deutschlands in Genf: «Menschenrechte haben auch dann Vorrang, wenn deutsche Wirtschaftsinteressen im Spiel sind.

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