Ein gespaltenes Land

Der rechte Kurs der CSU hat auch Teile der eigenen Stammwählerschaft verschreckt

  • Johannes Hartl
  • Lesedauer: 4 Min.

Der diesjährige Landtagswahlkampf in Bayern war gleich in mehrfacher Hinsicht ein Novum. Nicht nur, dass die CSU durch die AfD erstmals seit langem mit einer Partei konfrontiert ist, die sich politisch rechts von der Regierungspartei positioniert. Auch der Wahlkampf als solcher unterschied sich grundlegend von den vorherigen: Während sich dieser in den letzten Jahren noch überwiegend auf den politischen Schlagabtausch zwischen den Parteien beschränkte, wurde er in diesem Jahr zusätzlich von zahlreichen politischen Protesten flankiert, die sich jenseits des klassischen Parteienspektrums abspielten.

Allein zwischen Mai und Oktober fanden in München vier Großdemonstrationen statt; jede einzelne von ihnen mobilisierte mehr als 10.000 Menschen in die Landeshauptstadt. Inhaltlich beschäftigten sich die Aktionen mit durchaus unterschiedlichen Themen, zum Beispiel mit der desolaten Mietsituation oder dem restriktiven Polizeiaufgabengesetz. Doch gemeinsam ist ihnen: Sie sind eine offene, außerordentlich scharf formulierte Kritik am derzeitigen Kurs der CSU.

Bei der Demonstration »ausgehetzt« hatten im Juli sogar rund 50.000 Menschen Flagge gezeigt, um gegen einen zunehmenden Rechtsruck in der Gesellschaft zu protestieren - gegen einen Rechtsruck, für den die Demonstrierenden der CSU mit ihrer Rhetorik und Politik eine Mitschuld geben. Organisiert wurden diese Proteste jeweils von einem breiten zivilgesellschaftlichen Bündnis, bestehend aus den verschiedensten Gruppen - darunter Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Initiativen. Die Oppositionsparteien im Landtag spielten dabei eine eher untergeordnete Rolle, auch wenn sie sich als Unterstützer und Teilnehmer an den Aktionen beteiligt haben.

Für die CSU war das eine beunruhigende Entwicklung. Selbst wenn sich die Konservativen offiziell redlich darum bemühten, deren Bedeutung zu relativieren. Doch langfristig ist das für die Partei ein gefährliches Spiel: Denn die Aktionen sind wesentlich mehr als der einsame Protest einiger linker Gruppierungen, die traditionell gegen die CSU-Politik rebellieren. Sie sind vielmehr Ausdruck eines tiefen Risses, der durch Bayern geht. Dabei galt der Freistaat viele Jahre als sichere (rechts)-konservative Bastion.

Es wäre jedoch verfehlt, die Proteste mit einer Spaltung zwischen dem liberal-weltoffenen und dem (rechts)-konservativen Bayern zu erklären. Diese Unterschiede hat es in der politischen Landschaft schon immer gegeben. Trotzdem ist der massenhafte Unmut, der sich in den Demonstrationen Bahn bricht, ein vergleichsweise neues Phänomen.

Tatsächlich muss, wer nach Gründen für diese Entwicklung sucht, bei der CSU selbst beginnen. In den letzten Monaten hat die Partei unter Führung ihres Vorsitzenden Horst Seehofer einen beispiellosen Rechtskurs eingeschlagen, angetrieben von der Hoffnung, so die AfD bei den Wahlen möglichst kleinzuhalten. Dieser Kurs kreist vor allem um die Asyl- und Flüchtlingspolitik, vernachlässigt zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung aber die zahlreichen anderen Themen, die die Menschen in Bayern umtreiben.

Viele Wähler hat dieser Kurs nachhaltig befremdet, darunter auch eine Vielzahl langjähriger CSU-Anhänger und Mitglieder, die ein eher wertkonservatives Profil aufweisen. Immer wieder haben diese in der letzten Zeit erfolglos lautstarke Kritik an der Neuausrichtung geübt, insbesondere an den neuen Schwerpunkten in der Asylpolitik. Sie engagieren sich nämlich vielfach in kirchlichen Gemeinden und erleben dort die Folgen der restriktiven Politik hautnah mit, die sie nicht mit ihren Prinzipien vereinen können. Gleichzeitig mussten sie wiederholt die Erfahrung machen, dass die CSU für ihr Engagement kaum Anerkennung zeigt.

Das wiederum hat viele Menschen von der Partei entfremdet, ohne dass die CSU dem rechtzeitig entgegengesteuert hätte. Dabei hatten die sogenannten Christsozialen eigentlich immer ein Gespür für die politische Ambivalenz unter ihren Wählerinnen und Wählern. Die Partei war nie ein monolithischer Block: Sie bestand seit jeher aus unterschiedlichen Flügeln mit differierenden politischen Vorstellungen. Die erfolgreichen Parteivorsitzenden verstanden sich stets darauf, allen Flügeln mit einem fairen Mittelweg entgegenzukommen. Doch bei der aktuellen Landtagswahl hat sich die CSU derart auf die Wählerschaft aus dem Rechtsaußenspektrum konzentriert, dass sie darüber ihre wertkonservativen und liberalen Unterstützer vergessen hat.

Die Demonstrationen sind deshalb weniger das Resultat einer Spaltung, die zwischen dem liberalen und konservativen Bayern zutage tritt. Sondern sie sind die selbst verschuldete Folge einer rechtsdriftenden CSU-Politik, die die Konservativen kompromisslos umgesetzt haben - zum Teil gegen den ausdrücklichen Wunsch ihrer Anhänger. Im Grunde sind sie nichts anderes als ein Hilfeschrei derer, die politisch keine Chance mehr auf Gehör hatten.

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