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Die »Wiedergutmachung in Dresden« GmbH
Zwölf Jahre nach dem Verkauf der städtischen Wohnungsgesellschaft errichtet ihr Nachfolger den ersten Neubau
Vor, zurück, vor, zurück: Die Walze in einer Baugrube an der Ulmenstraße im Dresdner Stadtteil Leuben verrichtet stoisch ihren Job. Sie verdichtet Boden, auf dem ein Wohnhaus errichtet werden soll. Auf den ersten Blick nichts besonderes in einer Stadt, in der gerade jede Brache bebaut wird. Erst das Bauschild, das halb vom Laub der Straßenbäume verdeckt ist, offenbart, dass hier in der Vorstadt, 20 Minuten Fahrt vom Rathaus entfernt, Stadtgeschichte geschrieben wird. »Neubau kommunaler Wohnungen«, ist zu lesen. Ein Unternehmen namens »WiD Wohnen in Dresden GmbH & Co. KG« errichte seine »ersten 22 Neubauwohnungen«. Im Herbst 2019 sollen sie fertig sein.
Kommunalen Wohnungsbau hat es in Dresden zwölf Jahre lang nicht gegeben, ebenso wenig wie die Bewirtschaftung städtischer Wohnungen. Der Grund: Es gab keine mehr. Im Jahr 2006 hatte die sächsische Landeshauptstadt ihre städtische Wohnungsgesellschaft Woba mit 48 000 Wohnungen komplett an den US-amerikanischen Finanzinvestor Fortress verkauft und dafür 1,7 Milliarden Euro kassiert. Ein spektakulärer Schritt, der bundesweit für Aufsehen sorgte, Mietervertreter in helle Aufregung versetzte, vom damaligen sächsischen CDU-Innenminister als »unsinnig« bezeichnet wurde und in der Stadtpolitik ein Erdbeben auslöste. Im Epizentrum: die LINKE.
Die Partei galt (und gilt) als Verteidigerin kommunalen Eigentums. In Dresden wurde dieser Ruf erschüttert. Neun ihrer 17 Stadträte stimmten zusammen mit CDU und FDP dem Verkauf zu und machten ihn so erst möglich. Auch Interventionen aus der Bundespartei, etwa von Oskar Lafontaine als Fraktionschef, bewirkten keinen Sinneswandel. Die Folge: Die Fraktion flog auseinander. Dass ausgerechnet Vertreter seiner Partei bei dem Ausverkauf mitgespielt hätten, habe »viel Vertrauen zerstört« und viele Wählerstimmen gekostet, sagt Rico Gebhardt, damals Landesgeschäftsführer der Partei und heute ihr Landeschef: »Die Folgen haben wir in Dresden noch Jahre später gespürt.« Und Kris Kaufmann, damals eine Verkaufsgegnerin in der Fraktion, spricht vom »größten politischen Desaster, das ich miterlebt habe«.
Zwölf Jahre später sitzt Kaufmann in einem großen Büro im dritten Stock des Dresdner Rathauses - als Sozialbürgermeisterin. Ironie der Geschichte: In diesem Amt ist sie ausgerechnet auch für die Gesellschaft zuständig, die an der Ulmenstraße ihr erstes Haus baut und manchmal als »Woba 2.0« bezeichnet wird: die im November 2017 von der rot-grün-roten Ratsmehrheit auf den Weg gebrachte WiD. Sie fällt in ihr Ressort, weil mit Hilfe der Gesellschaft der soziale Wohnungsbau in Dresden angekurbelt werden soll, wovon vor allem Menschen mit niedrigeren Einkommen profitieren sollen.
Derzeit haben 54 500 Haushalte in Dresden Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. An geeigneten Wohnungen aber mangelt es. Weil die Stadt boomt und viel Zuzug verzeichnet, ziehen zum einen die Mieten stark an. Mit mittleren Bestandsmieten von 5,96 Euro je Quadratmeter und Mieten im Neubau von 10,43 Euro gebe es zwar »noch keine Lage wie in Hamburg oder München«, räumt Kaufmann ein: »Das Problem ist aber die Dynamik.« Zugleich gibt es kaum noch Leerstand. Die Quote sei auf 1,7 Prozent gesunken, sagt Peter Bartels, der Chef des Dresdner Mietervereins: »Wir sind damit in der Wohnungsnot angekommen.« Bartels, der als Parteiloser der SPD-Fraktion im Rat angehört, hat bereits zum Zeitpunkt des von ihm als »äußerst kurzsichtig« bezeichneten Verkaufs geahnt, dass die Stadt in Sachen Wohnungspolitik ernsthafte Probleme bekommen würde. »Ich habe damals prophezeit: Es wird zehn Jahre dauern«, sagt er. »Am Ende waren es sogar nur neun.«
Zur Wahrheit gehört freilich auch, dass für solche Prognosen um 2006 noch viel Gottvertrauen nötig war. Kurz zuvor hatte die Bevölkerungszahl mit 465 000 einen Tiefpunkt erreicht - 85 000 weniger als Anfang der 1990er Jahre. Dass man einmal wieder von 580 000 Einwohnern reden würde, wie sie für 2030 derzeit prognostiziert werden, schien utopisch. Etwa 40 000 Wohnungen standen leer; wer eine bezog, hatte beim Vermieter viele Wünsche frei. Auch leere Wohnungen aber kosteten Geld - Geld, das die Stadt nicht hatte. »Unsere Haushaltsentwürfe«, sagt Ronald Weckesser, »wurden von der Kommunalaufsicht abgelehnt.« Die Stadt sei nicht mehr handlungsfähig gewesen.
Weckesser war einmal ein prominenter Mann in der PDS in Dresden und Sachsen: Finanzexperte in der Landtagsfraktion, Autor alternativer Etatentwürfe, was ihm den Titel »Vater des schuldenfreien Sozialismus« eintrug. In Dresden war er Chef der Ratsfraktion - bis er den Verkauf der Woba mittrug. Das habe ihn »die Parteimitgliedschaft und viele Freundschaften gekostet«.
Für falsch hält er den Schritt freilich auch zwölf Jahre später nicht - im Gegenteil. »Je länger es her ist, um so sicherer bin ich mir: Es war die wichtigste Entscheidung meines politischen Lebens - und eine richtige.« Die Frage nach dem Nutzen des Verkaufs beantwortet er mit einem einzigen Wort: »Geld«. Das sei in die Entschuldung gesteckt worden mit dem Effekt, dass nicht mehr 60 bis 80 Millionen Euro pro Jahr in den Schuldendienst fließen mussten. So konnten Kitas gebaut, Schulen saniert, Einrichtungen wie das Kulturkraftwerk Mitte oder der Kulturpalast gebaut oder saniert werden. Dass Dresden heute so brumme, sagt er, »hat seinen Grund in unserer damaligen Entscheidung«.
Weckesser merkt auch an, dass der Verkauf von städtischem Tafelsilber damals in der Partei kein Tabubruch war. In Berlin, wo die LINKE eine rot-grüne Minderheitsregierung tolerierte, wurde die Wohnungsgesellschaft GSW veräußert, in Görlitz Teile der Wasserversorgung. Dresden fiel nur insofern aus der Reihe, als man sich dort am Ende für den Verkauf der gesamten Woba entschied - weil, wie Weckesser sagt, nur so »ein strategischer Preis« zu erzielen gewesen sei.
Zugleich fiel die Debatte über den Verkauf in eine innerparteilich sehr bewegte Zeit: 2005 entstand die neue LINKE aus PDS und WASG. Zu letzterer hätten, erinnert sich Gebhardt, auch viele enttäuschte Ex-Mitglieder der SPD gehört, die nun »nicht in einer Partei landen wollten, in der die Privatisierung von kommunalem Eigentum auf der Agenda steht«. Das mag die Vehemenz erklären, mit der etwa Oskar Lafontaine in Dresden intervenierte. Just in den Tagen im Januar 2006, da die Bieter für den Woba-Verkauf ihre Angebote vorlegten, hatte er den Widerstand gegen jegliche Privatisierung kommunalen Eigentums als eine der »Grundlinien« für Regierungsbeteiligungen der Partei definiert. Zu den von Genossen mitgetragenen Wohnungsverkäufen in Berlin und ausdrücklich auch Dresden sagte er: »Das war ein Fehler.«
Kris Kaufmann benutzt zwölf Jahre später den gleichen Begriff - und sagt: »Wir haben aus den Fehlern gelernt.« Beweis dafür sei die Gründung der »WiD Wohnen in Dresden GmbH & Co. KG«. Deren Kürzel könnte man vor diesem Hintergrund auch anders übersetzen: als »Wiedergutmachung in Dresden«. Die Stadtpartei, lobt Landeschef Gebhardt, »setzt etwas wieder instand«. Sie tut das gemeinsam mit Grünen, SPD und Piraten, mit denen sie seit 2014 im Rat kooperiert. Als das Bündnis 2016 die entsprechende Vereinbarung fortschrieb, wurde die neue Woba an erster Stelle genannt. Der Grünen-Stadtrat Johannes Lichdi nannte diese das »langfristig wichtigste Reformvorhaben der Kooperation«.
Die Betonung liegt auf »langfristig«. Derzeit ist, vor allem dank eines vom Bund mitfinanzierten Förderprogramms des Landes zum sozialen Wohnungsbau, bis Ende 2021 die Errichtung von 800 kommunalen Wohnungen gesichert. Spielt das Land mit und gibt die zweckgebundenen Mittel weiter an die Kommunen, könnten weitere 1700 folgen. Sie »erwarte«, sagt Kaufmann, ein »bedarfsgerechtes Programm vom Freistaat« - der das Geld zum Teil jedoch auch in ländliche Regionen lenken könnte.
Selbst wenn es gut läuft, sind 2500 Wohnungen nur ein Bruchteil dessen, was einst verkauft wurde; sie allein reichen längst nicht, um den hohen und steigenden Bedarf zu decken. Die Stadt dränge deshalb auch auf das Engagement privater Investoren, sagt Kaufmann. Diese sollen im Zuge der Baugenehmigung auf eine »Sozialbauquote« festgelegt werden: 10 bis 15 Prozent der neu errichteten Wohnungen sollen für 15 Jahre als Sozialwohnungen zur Verfügung stehen. Kaufmann betont aber, dass »die WiD nach jetziger Erfahrung größter Akteur in dem Bereich sein wird«.
Ronald Weckesser kann der Initiative, die seine früheren Parteifreunde vorantreiben, wenig abgewinnen. Er spricht von einem »taktischen Manöver« und rechnet vor, dass es in Dresden 290 000 Wohnungen gebe; der für die WiD geplante Bestand belaufe sich also auf unter ein Prozent. Allein das sei »Gewähr dafür, dass es nicht funktioniert«, sagt er - räumt aber auch ein: Weil die Wohnungsfrage an Brisanz gewinnt, lasse sich das Thema »politisch gut verkaufen«. Lösen werde das Problem der Markt - genauer: der Neubau vieler Wohnungen. Dadurch würden preiswertere Wohnungen frei.
Die Realität in Dresden, sagt Bartels, sei freilich derzeit eine andere. Wohnungen, deren Mieter in ein neues Domizil ziehen, würden zu höheren Preisen neu vermietet. Der Markt regelt die Probleme nicht, sagt der Chef des Mieterbundes, der die Neugründung der WiD deshalb begrüßt - aus praktischen wie aus prinzipiellen Erwägungen. Einerseits ist er überzeugt, dass der Neubau von preiswerten Wohnungen »den Markt entlasten« werde. Daneben, sagt er, gebe es auch »keine Stadt in Deutschland, die keine eigenen Wohnungen besitzt«. Mit der Neugründung kehrt in Sachsens Landeshauptstadt quasi wieder Normalität ein.
Es ist allerdings eine teure Wende. Bartels zitiert eine Studie, wonach der Verkauf der Woba 2006 der Stadt einen rechnerischen Erlös von 36 000 Euro pro Wohnung einbrachte. Jetzt wird neu gebaut für 200 000 Euro je Wohnung. Die WiD sei zunächst auch ein eher kleines Unternehmen, das dennoch eine Verwaltung brauche. Die Wohnungen liegen zudem an rund 20 Standorten in der Stadt verstreut, weil man weitgehend vermeiden will, weitere Sozialwohnungen in Vierteln zu errichten, in denen es schon viele gibt. Bartels hält das für richtig und warnt die neue Gesellschaft vor dem Fehler, ein Hochhaus mit 130 Sozialwohnungen wie geplant im Stadtteil Johannstadt zu bauen, wo sich schon jetzt soziale Probleme bündelten. Die verstreute Lage bringe aber weite Wege mit sich. Unterm Strich sagt Bartels, es werde »nicht einfach, das Unternehmen lebensfähig und effizient zu halten«.
Die Sozialbürgermeisterin ist zuversichtlich, dass das gelingen kann - auch wenn sie einräumt, dass der Neubau in der Ulmenstraße nur »der erste Schritt auf einem sehr, sehr langen Weg« sei. Immerhin soll dieser auf einem sehr soliden Fundament stehen. Dafür rollt die Walze in der Baugrube: vor, zurück, vor, zurück.
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