- Kommentare
- Nations League
Gute Zeiten für Schwarzseher
Christoph Ruf über ein Akzeptanzproblem des Fußballs und andere Anomalien in diesem Herbst
Was ist nur los in diesem Oktober? Um Mitternacht sitzen die Leute noch im T-Shirt in ihren Gärten, das ist schon mal die erste Anomalie. Aber noch merkwürdiger als Temperaturen von 26 Grad Celsius ein paar Wochen vor Weihnachten sind ja die Ergebnisse aus Sport und Politik. Ein CSU-wählender Fan des FC Bayern kann dieser Tage definitiv nur an seinem Verstand zweifeln. Die einen gurken auf Platz sechs herum und die anderen haben nicht mal mehr eine »4« vor dem Komma.
Am Schlimmsten aber hat es die Nationalmannschaft gebeutelt, die am Wochenende ein Ergebnis zusammenbrachte, das auch die größten Realitätsverweigerer nachdenklich stimmen dürfte. 0:3 gegen die Niederlande, das ist die nahtlose Fortsetzung der WM-Ergebnisse. Und spätestens, wenn Deutschland am Dienstag auch noch in Paris verliert, wird die Diskussion darüber geführt werden, ob Joachim Löw nach all den Jahren noch der richtige Bundestrainer ist. Einer ist eben immer der Seehofer, wenn’s nicht läuft.
Dabei ist es ja einigermaßen ironisch, dass die Trainerdebatte zum jetzigen Zeitpunkt aufkommt. Denn hätte die UEFA nicht die glorreiche Idee gehabt, mit der Nations League ein zusätzliches künstliches Event zu schaffen - ein Plan, der selbst von Wirtschaftsliberalen wie Karl-Heinz Rummenigge kritisiert wurde -, dann wäre jetzt Ruhe im Karton. Ohne Nations League hätte Deutschland zwei Testspiele gegen, sagen wir mal, Wales und Zypern absolviert und die möglicherweise sogar gewonnen.
So aber wird sich die Nation noch bis zum kommenden Wochenende gedulden müssen, um zu sehen, wie die Trainerwechsel in der ersten und zweiten Liga so gewirkt haben. Beim VfB Stuttgart haben sie ja vor ein paar Tagen ihren Trainer Tayfun Korkut entlassen und ihn durch Markus Weinzierl ersetzt. Am interessantesten war dabei die Begründung für den Rauswurf. Da war zum einen die Tatsache, dass der stets sehr ehrgeizige VfB nur auf Tabellenplatz 18 steht. Präsidium und Manager Michael Reschke ließen aber auch verlautbaren, man wolle schöneren, attraktiveren Fußball spielen und traue es dem Defensivpapst Korkut nicht zu, diesen Wunsch auf den Platz zu kriegen. Das ist interessant, weil zeitgleich zum Beispiel auch auf Schalke die Rede davon war, dass die Spielweise verbessert werden müsse.
Ob sich in der Branche tatsächlich ein paar Leute Gedanken darüber machen, warum der Fußball langsam, aber sicher ein Akzeptanzproblem bekommt? In Gelsenkirchen kamen gegen Porto jedenfalls nur 45 000 Zuschauer - Schalker Minusrekord für die Champions League. Was auch daran liegen könnte, dass Fans über eine zehnprozentige Erhöhung der Ticketpreise klagten. »Ich würde sehr gerne die Mannschaft unterstützen, aber nicht um jeden Preis«, schrieb ein Fan. »Ich rudere zurück und beteilige mich nicht an dem Kommerz Champions League.«
Dass es im Ruhrgebiet ein paar Menschen mit Prinzipien gibt, kann jeder bestätigen, der schon mal mit dem Präsidenten von Rot-Weiß Oberhausen gesprochen hat. Hajo Sommers sieht schwarz für die meisten Traditionsvereine und macht sich seinen eigenen Reim auf die schlechte Stimmung bei den Länderspielen: »Seit vier Jahren gibt es einen totalen Stimmungswandel. Deutschland-Spiele nicht mehr ausverkauft? Das hat nichts mit einer schlechten WM zu tun, sondern weil niemand mehr die langweilige Scheiße sehen will.«
Nun gibt es in der Branche nicht viele, die langweilige Scheiße auch langweilige Scheiße nennen, aber offenbar machen sich ein paar Vereinsbosse eben doch gerade Gedanken, wie sie mit dem immer lauter werdenden Grummeln in ihren Fanszenen umgehen. Mancher Verein (Hertha, Uerdingen) hat zuletzt die Eintrittspreise gesenkt, andere scheinen das Pferd vom anderen Ende aufzäumen zu wollen. Wenn die Fans nicht mehr einsehen, 60 Euro für ein Spiel zu bezahlen, das nach Dutzenden Fehlpässen und einem halbwegs sauber gespielten Konter 0:1 ausgeht, dann könnte man sie vielleicht damit zufriedenstellen, dass sie in den verbleibenden 89 Minuten hin und wieder auch mal etwas sehen, an das sie sich am Montagmorgen noch erinnern. Dann also, wenn die werten Arbeitskollegen mal wieder darüber spotten, wie sinnlos der Herr Kollege sein sauer verdientes Geld doch ausgibt. Ja, beim Fußballspiel mal wieder Fußball spielen zu lassen, wäre schon mal ein vielversprechender Ansatz. Und mir würden noch ein paar weitere Ansätze einfallen. Aber jetzt ist diese Kolumne zu Ende.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.