Schule schwänzen für Fortschritt

Jugendliche wollen am Donnerstag gegen Leistungsdruck demonstrieren

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich war in der Schule und habe nichts gelernt«: So beginnt ein bekanntes Lied der Hiphop-Gruppe »K.I.Z.« Und so etwas Ähnliches haben sich wahrscheinlich auch die Schüler*innen gedacht, als sie auf die Idee gekommen sind, erneut einen Schulstreik unter dem Motto »Bildung statt Schule« zu organisieren. Am kommenden Donnerstag soll es so weit sein: Das Bündnis aus verschiedenen Jugendgruppen ruft auf, um elf Uhr zum S-Bahnhof Friedrichstraße zu kommen, um gegen die aktuelle Bildungspolitik zu demonstrieren - während der Schulzeit.

Doch wer sind diese Schüler*innen, die den Streik organisieren, und warum tun sie das? Von Beginn an dabei ist Amrei Gent. Die 17-jährige, die in Kreuzberg und Neukölln aufgewachsen ist, geht auf das Leibniz-Gymnasium und wird im nächsten Frühjahr dort Abitur machen. »Ich stecke gerade in den Abi-Vorbereitungen«, sagt sie im Gespräch mit dem »nd«. Doch nicht nur dafür wendet sie momentan viel Zeit auf: »Abgesehen von den klassischen Bravo-Antworten, mache ich in meiner Freizeit auch Politik bei der Jugendantifa Kreuzberg.«

Dort arbeitet sie zu Rassismus, Faschismus und aber auch Kapitalismuskritik - ganz neu kam ein Lesekreis zur Kritik der politischen Ökonomie hinzu. Mit der »Jugendantifa Kreuzberg« (JAK) organisiert sie nun auch den Schulstreik, welcher noch von der Feministischen Aktion Karlshorst und der Antifaschistischen Jugendorganisation Charlottenburg in Zusammenarbeit mit dem Bündnis gegen Schulprivatisierung (SOS) gestemmt wird. Das sind befreundete Gruppen, erklärt Gent. Und so sei sie auch zu linksradikaler Politik gekommen: Über den Freundeskreis, der mittlerweile komplett bei der JAK läge. Auch ihre beste Freundin ist dabei: »Die hab’ ich rekrutiert.«

In der Schule kommt ihre klare Haltung jedoch nicht immer so gut an. Besonders bei ihrer Kapitalismuskritik: »Das ist der wesentliche Streitpunkt.« Dabei komme es auch mal zu hitzigeren Diskussionen. Ihre Schule, die sich selbst noch als links gibt, sei dabei allerdings noch ein relativ angenehmer Ort. An anderen Schulen sei das nicht so: »Das kommt sehr drauf an, in welchem Bezirk man ist«, so Gent. Und auch die Lehrerschaft und die Art der Schule spielen eine Rolle. Schwierig kann es jedoch auch überall sein, wo sich Schüler*innen beispielsweise als homosexuell outen.

Bei Gent in der Schule gebe es Raum über verschiedene Arten von Diskriminierung zu reden und Themen wie Homosexualität und Rassismus würden nicht verschwiegen, sondern auch im Unterrichtsmaterial mit einbezogen. Insgesamt sei die Schule als Institution allerdings immer noch kritisch zu sehen: »Es sollen einem bestimmte Regeln beigebracht werden.« Die Schule hätte die Aufgabe zum Staatsbürger zu erziehen. »Außerhalb davon wird über nichts geredet.« Und auch die Art der Gesellschaft spielt dabei eine Rolle: »Wenn man in einem System lebt, das von Ausbeutung lebt, dann ist es nicht verwunderlich, dass dahin auch erzogen wird.«

In der Bildungswissenschaft wird über dieses Thema unter dem Begriff des »heimlichen Lehrplans« diskutiert. In der Schule würden laut Kritiker*innen Verhaltensweisen der Klassengesellschaft eingeübt - etwa durch die Normierung der Sprache oder das Leistungsprinzip. Das Produkt sei eine Stabilisierung der herrschenden Verhältnisse durch Anpassung.

Dem stimmt auch Gent zu. Doch: »Der Plan ist ja gar nicht mal so heimlich.« In Bayern stehe im Lehrplan beispielsweise, dass die Liebe »zur bayerischen Heimat« gefördert werden solle. »Ich finde das furchtbar«, sagt Gent. Sie wünscht sich eher die Förderung kritischen Denkens. Im Mittelpunkt stehe vor allen Dingen der Gedanke der Leistungsgesellschaft. Das habe Folgen: »Ich kenn super viele Fälle von Leuten bei mir aus der Schule, die krassen Stress haben. Denen sieht man das auch an!« Und auch sie selbst spürt immer wieder, dass zu viel zu tun für zu wenig Zeit ist. Das führe dazu, dass sich die Schüler*innen kein privates Problem leisten können. Die gebe es allerdings genug: Stress mit den Eltern, Ausgrenzung oder Depressionen.

Doch was müsste sich ändern? »Wir haben keinen Masterplan«, sagt die Organisatorin des Schulstreiks. Sie stellt sich ein ähnliches Modell wie an den Universitäten mit frei wählbaren Fächern und keiner Anwesenheitspflicht vor. Aber: »Das ist so gerade gar nicht realisierbar.« Dafür müsse sich erst die Gesellschaft ändern. Doch genau das sei auch ein Ziel des Streiks: Kritik am Schulbetrieb formulieren mit einem Blick auf die Gesellschaft. Ein anderes sei natürlich, viele Schüler*innen gegen den aktuellen Schulbetrieb auf die Straße zu bringen und dadurch auch zu politisieren. »Und die sollen am besten noch Schule schwänzen«, sagt Gent und lacht.

Wie es für die Abiturientin weiter geht, weiß sie selbst noch nicht genau. Eventuell möchte sie nach dem Abschluss erst einmal ein Freiwilliges Soziales Jahr machen. Das langfristige Ziel ist jedoch klar: Sie möchte auf Lehramt studieren und dann alles anders machen - im Rahmen des Möglichen.

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