Herbst der Hoaxes
Velten Schäfer über den Betrug als Mittel der Wissenschaft
Science-Hoaxes sind zum Kringeln. Hierzulande lachte man zuletzt über eine Gruppe, die 2016 dem »Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung« einen Satiretext andrehte. Dieser behauptete, die Hunde der DDR-Grenzer seien direkte Nachkommen von KZ-Wachhunden gewesen - und erhob diesen »Befund« zum neuen Paradigma der DDR-Forschung. Jetzt aber ist, frei nach Wolf Haas, der seine schwarzhumorigen Krimis mit diesem Satz einzuleiten pflegt, schon wieder, was passiert.
Es hat sich nämlich herausgestellt, dass der 2017 in den USA aufgedeckte Hoax um einen »konzeptuellen« Nexus zwischen Klimawandel und dem »kulturellen Konstrukt« Penis nur eine Eisbergspitze war: Teil eines Feldversuchs des in Portland lehrenden Philosophen Peter Boghossian sowie von James Lindsay und Helen Pluckrose. Das Trio hatte 2017 gleich zwanzig Quatschaufsätze fabriziert und verschickt, gezielt an Periodika aus dem weiteren Bereich der Gender Studies. Um auf Pressefragen nach einem Pseudonym nicht direkt lügen zu müssen, wurde das Experiment vorzeitig abgebrochen. Die Bilanz ist aber dennoch ansehnlich: Vier Texte wurden veröffentlicht, drei zur Publikation angenommen und nur sechs ganz abgewiesen.
Ein Papier wurde sogar ausgezeichnet: Das Journal »Gender, Place & Culture« platzierte diesen Beitrag zur »feministischen Geografie« prominent in einer Jubiläumsausgabe. Ähnlich wie bei den DDR-Hunden ruft der betreffende Text unter anderem ernsthaft geführte Debatten über Mensch-Tier-Beziehungen auf, um angebliche Beobachtungen auf Hundeausführplätzen zu einem Schlüssel von Gesellschaftsanalyse zu adeln: Ungeahndete »Hundevergewaltigungen« verwiesen auf eine menschliche »Vergewaltigungskultur«.
Mit seinem Hoax in Serie will das Trio - das sich links verortet - belegen, dass in den linksliberalen »Identitätsstudien« die blanke Ideologie regiere: Was den Tenor bediene, sei willkommen. Ungeachtet dessen, dass kritische Geschlechterforschung ihrerseits unter ideologischem Beschuss steht - gerade dieser Tage verkündete die ungarische Rechtsregierung das Ende der Gender Studies -, ist diese Debatte auch zu führen. Das Mikroskop wird in den kommenden Wochen darauf zurückkommen, denn auch von jenen Wachhunden gibt es Neues: Willkommen also im Herbst der Hoaxes!
Nicht aufzuwärmen ist freilich jene alte Grundsatzfrage, ob Sozialforschung jenseits »harter Zahlen« überhaupt Wissenschaft sei. Wer so denkt, sei daran erinnert, dass auch in den »exakten« Naturwissenschaften immer wieder Unfug und Betrug durchgehen, dann freilich ohne Aufklärungsabsicht. Es hat ja nicht nur der amerikanische Physiker Alan Sokal - an den man jetzt wieder denken muss - in seinem legendären Hoax von 1996 im Magazin »Social Text« die Quantengravitation als »linguistisches und soziales Konstrukt« scheinentlarvt, um die Nonsensanfälligkeit postmoderner Theorie vorzuführen. Umgekehrt konnte in der »Bogdanov-Affäre« von 2002 ein aus der Science-Fiction bekanntes Brüderpaar eine »Urknalltheorie« prominent veröffentlichen, die Sokals sprichwörtlichem »eleganten Unsinn« nicht nachstand.
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