Pure Geldverschwendung

Ulrike Kumpe empfindet pränatale Tests als Euthanasie

Sollte ein molekularer Gentest an Föten auf Trisomie 21 künftig eine allgemeine Krankenkassenleistung sein? Oder sollte er nur gut betuchten Schwangeren zur Verfügung stehen, weil er teuer ist?

Kann man fragen. Aber das ist nicht die richtige Frage. Eher sollte sie lauten: Was ist der Grund für diese Tests und was deren Nutzen? Der Grund für diese Art der Pränataldiagnostik ist Selektion: Die Geburt eines Kindes mit Behinderung soll ausgeschlossen werden. Das wird in der Praxis bereits so gehandhabt. Neun von zehn Schwangeren, deren Embryo auf Trisomie 21 positiv getestet wird, treiben nach Expertenangaben ab. Es wird also zwischen »lebenswertem« und »lebensunwertem« Leben unterschieden. Das ist Euthanasie.

Hinzu kommen Beratungen, bei denen hervorgehoben wird, welche individuellen und gesellschaftlichen Belastungen durch ein Kind mit Behinderung entstehen könnten. Dabei sagen die Tests überhaupt nichts über die Ausprägung einer Behinderung im Leben aus. Auch nicht darüber, welche Lebensfreude und welche Perspektiven Kindern und Eltern verloren gehen könnten.

Hinzu kommt, dass sich bei der Zulassung der Tests als Kassenleistung der Druck auf Frauen enorm erhöht: Mach mal besser einen Test - bevor es zu spät ist. Eine Folge ist, dass Kinder mit Genveränderungen häufig als »defekt« und damit weniger liebenswert gelten. Dadurch wächst der Druck auf Eltern, die sich bewusst für ein Kind mit Trisomie entscheiden, sich dafür rechtfertigen zu müssen. Laien fragen gar nicht erst, wie die Behinderung zustande gekommen ist, sie gehen selbstverständlich davon aus, dass sie vermeidbar gewesen wäre. Das wiederum bewirkt, dass Menschen mit Behinderung inklusive ihrer Angehörigen noch stärker als bisher stigmatisiert werden.

Pro Pränataldiagnostik: Arme werden entlastet
Jana Frielinghaus plädiert für mehr Empathie für Eltern

Ohnehin ist der medizinische »Nutzen« fraglich. Statistiken zufolge kommen nur drei Prozent aller Kinder mit einer Behinderung zur Welt. Die meisten Behinderungen konnten durch pränatale Diagnostik gar nicht festgestellt werden. Schwangerschaften werden zur immer größeren Schlacht um Minimalrisiken mit der Frage: Wird es ein Normkind?

Dabei bietet das größte Risiko auf eine Behinderung das Leben selbst. Sollte Leben abgeschafft werden, um das Risiko auf eine Behinderung zu minimieren? Die finanziellen Mittel der Krankenkassen wären besser angelegt, würden Kinder mit Behinderungen und deren Eltern stärker unterstützt. Würden ihnen beispielsweise mehr praktische Hilfsmittel und Therapien bezahlt. Wünschenswert wären auch eindringliche Kampagnen zum Abbau von Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -