Die sich selbst gefangen nahmen

Nach der Niederlage in Bayern steckt die SPD mehr denn je in ihrem Dilemma.

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die SPD bricht mit einer Tradition. Die Partei hatte bislang an Wahlabenden stets eine Party im Berliner Willy-Brandt-Haus veranstaltet. Doch nun fehlt ihnen hierfür das Geld. Weil die SPD bei der Bundestagswahl auf 20,5 Prozent der Stimmen fiel, erhält sie weniger öffentliche Mittel als zuvor. Zu feiern gab es ohnehin nichts für die Sozialdemokraten nach der Landtagswahl in Bayern. Sie verloren dramatisch und landeten mit 9,7 Prozent auf dem fünften Platz.

Das Ergebnis bestätigt diejenigen SPD-Politiker, welche die Große Koalition im Bund als Ursache für die Probleme ihrer Partei sehen. In einer E-Mail an die Mitglieder und Sympathisanten des linken SPD-Vereins Forum Demokratische Linke 21 (DL 21), die dem »nd« vorliegt, wird indirekt zum Aufstand gegen die Parteispitze aufgerufen. »Unter den SPD-Wähler*innen sagen 88 Prozent, es ist an der Zeit, dass sich die SPD in Berlin in der Opposition erneuert«, heißt es in dem Schreiben. Die Partei müsse endlich wieder sozialdemokratische Politik machen. »Das heißt: Hartz IV abschaffen, Einführung von Vermögenssteuer, Bürgerversicherung und Wirtschaftsdemokratie«, lauten die Forderungen der DL 21. Wenn das mit dieser Spitze nicht gehe, dann ohne. »Denn die Partei gehört uns allen.«

Bis zur Landtagswahl in Hessen am kommenden Sonntag ist jedoch Stillhalten angesagt, um den Wahlkampf der dortigen Genossen nicht zu sabotieren. Die DL-21-Vorsitzende und Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis hatte kürzlich in einem Interview gefordert, dass die Zeit bis zur Hessen-Wahl dafür genutzt werden müsse, um Ausstiegsszenarien aus der Großen Koalition vorzubereiten. Diese Haltung vertreten auch andere Sozialdemokraten wie der Landtagsfraktionschef aus dem mitgliederstarken Nordrhein-Westfalen, Thomas Kutschaty.

Fraglich ist aber, ob es den Gegnern der Großen Koalition gelingt, eine Mehrheit für ihr Anliegen hinter sich zu bringen. Denn die SPD hat sich selbst in eine Sackgasse manövriert. Wenn sie das Bündnis mit der Union verlassen sollte, würde sie Neuwahlen und einen noch tieferen Sturz riskieren. Die Umfragen lassen aus Sicht der Partei das Schlimmste befürchten. Deswegen äußern sich manche SPD-Politiker, die vor dem Mitgliederentscheid zu den vehementen Gegnern von Schwarz-Rot zählten, nun zurückhaltender. So plädierte Juso-Chef Kevin Kühnert dafür, den Fortbestand des Regierungsbündnisses davon abhängig zu machen, inwieweit die Union den Sozialdemokraten entgegenkommt. Als Beispiel nannte er »eine langfristige Sicherung der Renten«.

Damit bezog sich Kühnert offensichtlich auf den Vorstoß seines Genossen Olaf Scholz. Der Bundesfinanzminister hatte angekündigt, das heutige Rentenniveau bis zum Jahr 2040 sichern zu wollen. Die Union hat dies mit dem Verweis auf eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission zurückgewiesen, die sich Gedanken über die Rente nach dem Jahr 2040 machen soll.

Einmal abgesehen davon, dass auch das heutige Rentenniveau Geringverdiener und Erwerbslose nicht vor Altersarmut schützt, scheint es Kühnert eher darum zu gehen, dass das sozialdemokratische Profil in der Bundesregierung sichtbar bleibt, anstatt ernsthaft den Bruch des Bündnisses voranzutreiben. Kühnert und einige seiner Mitstreiter wollen offenbar langfristig planen.

Kürzlich hat der Jungsozialist unter anderem mit den SPD-Vizechefs Ralf Stegner und Johanna Uekermann, dem Vorsitzenden der SPD-Linken im Bundestag, Matthias Miersch, und dem Berliner Bürgermeister Michael Müller ein Papier verfasst. Obwohl die Unterzeichner konstatieren, dass sie die Große Koalition »nicht für eine wünschenswerte Option für unser Land halten, weil sie den produktiven Wettbewerb um unterschiedliche Politikkonzepte abschwächt und den Blick auf gesellschaftliche Verwerfungen verstellt«, verteidigen sie das Bündnis grundsätzlich. Sie schreiben, dass »der solide Koalitionsvertrag mit der Union die Chance bietet, dass unsere Regierungsmitglieder die gute SPD-Politik umsetzen können«. Radikalere Gegner von Schwarz-Rot wie Mattheis zählen nicht zu den Unterzeichnern.

Bemerkenswert ist außerdem, dass sich Kühnert, Stegner, Miersch und Uekermann mit Wehmut an die Zeit zurückerinnern, als es für ihre Partei in den Umfragen nach oben ging. Das war Anfang des Jahres 2017. Der SPD-Spitzenkandidat hieß zu diesem Zeitpunkt Martin Schulz. Obwohl der Rheinländer dem konservativen Flügel der Sozialdemokraten zuzurechnen ist, war er auch von den Parteilinken unterstützt worden. Damals hoffte die gesamte SPD, dass man nach dem Abgang des ungeliebten Chefs Sigmar Gabriel mit einem Politiker punkten könnte, der bislang vor allem im europäischen Kontext bekannt war.

Das Experiment mit Martin Schulz ging bekanntlich schief. Und unter seiner Nachfolgerin Andrea Nahles, die Partei und Fraktion führt, hat sich die Krise noch verschärft. Dass die SPD-Linken nun Michael Müller als Unterzeichner für ihren Aufruf gewonnen haben, ist ein Hinweis darauf, dass er nach dem Willen des Flügels in Zukunft eine wichtigere Rolle in der Bundespartei spielen soll. Die von Müller geführte rot-rot-grüne Koalition in Berlin gilt für viele linke Sozialdemokraten als Vorbild für den Bund. Allerdings hat auch der Bürgermeister mit dem Umfragetief und Kritikern in seinem Landesverband zu kämpfen. Einen aussichtsreichen Hoffnungsträger, der die SPD erneuern und Alternativen zur Großen Koalition ausloten könnte, gibt er derzeit nicht.

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