- Politik
- Demonstration in Sachsen
Pegida spukt weiter
Seit vier Jahren gibt es das rechtsextreme Bündnis - und hat Spuren hinterlassen
Dresden hat sich aufgerappelt. Vier Jahre nach der ersten Pegida-Versammlung hat ein breites Bündnis den selbst ernannten Rettern des Abendlandes die Stirn geboten. Ihre Demonstration zog mit rund 10 000 Teilnehmern weitaus mehr Menschen an als die Pegida-Kundgebung am Neumarkt. Den Auftakt des Protests machte am Sonntagmittag die Dresdner Clubszene mit einer Technoparade durch die Dresdner Neustadt. Die Parade stieß am Nachmittag auf andere Protestzüge in der Stadt, die unter dem Slogan »Herz statt Hetze« gestartet waren, um den Rechten nicht die Straße zu überlassen. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmar (CDU) nahm an der Demonstration teil.
Als Pegida im Oktober 2014 das erste Mal auf die Straße ging, kamen 350 Menschen. Schnell wuchsen die Teilnehmerzahlen an. Pegida, das war und ist ein Aufmarsch der Unzufriedenen - jene, die mit der Politik im Allgemeinen und der Berichterstattung in den Medien hadern und dazu eine krude Abneigung gegenüber Fremden haben. Bundesweit genoss das rechte Bündnis um ihren Anführer Lutz Bachmann in der Anfangszeit große Zustimmung. Laut einer Emnid-Umfrage aus dem Dezember 2014 bekundeten unter den Ostdeutschen 53 Prozent und unter den Westdeutschen 48 Prozent der Befragten Verständnis für Pegida. Die Bewegung schien einen Nerv bei einem Teil der Bevölkerung getroffen zu haben.
Es gab vielfache Versuche von Pegida-Aktivisten, auch in anderen Städten Fuß zu fassen. In beinahe jeder größeren Stadt gründeten sich rechtsradikale Ableger nach dem Dresdner Vorbild, sei es in Magdeburg oder Leipzig, Kassel oder Berlin. Aber nirgendwo brachten die Veranstalter an den Montagen so viele Menschen auf die Straße wie in Dresden, wo im Verlauf des Jahres 2015 zu einzelnen Demonstrationen mehr als 15 000 Menschen kamen.
Wenn Pegida auch nicht überall präsent war, so hat das Bündnis dennoch die Diskussionen über die Flüchtlingspolitik mit geprägt und ist für den Rechtsruck im Lande mitverantwortlich. Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer sagt, dass Pegida den Diskurs in Deutschland und die Grenze des Sagbaren eindeutig nach rechts verschoben habe.
Als infolge des Syrien-Kriegs die Zahl der muslimischen Flüchtlinge nach Deutschland im Herbst 2015 stark anwuchs, veränderte Pegida seine Rhetorik und betonte die Islamfeindlichkeit. »Zudem hat sich die Sprache weiter radikalisiert«, erläutert Vorländer. Die Schwelle zur Volksverhetzung wurde immer wieder übertreten. »Pegida hat sich zunehmend für Gruppierungen aus dem rechten und rechtsextremen Bereich geöffnet, beispielsweise für die Identitäre Bewegung.«
Emiliano Chaimite vom Dresdner Verein Afropa sieht in dem Aufstieg der Pegida-Bewegung eine Renaissance des Hasses. Anfang der 90er Jahre war Dresden eine Neonazi-Hochburg. Chaimite denkt noch häufig an den Mosambikaner Jorge Gomondai zurück, der im April 1991 starb, nachdem Rechtsextreme ihn aus einer fahrenden Straßenbahn warfen. Zwischenzeitlich dachte er, dass die Stadt sich befriedet habe. »Aber jetzt ist die Angst zurückgekehrt«, erzählt er am Rande der Demonstration. »Ich kenne viele Menschen, die gehen montags, wenn Pegida-Tag ist, nicht mehr auf die Straße. Auch die Pöbeleien aus den 90er Jahren sind zurückgekehrt.«
Fraglos hat Pegida die Grenze zwischen radikaler Rhetorik und physischer Gewalt brüchig werden lassen. Nach den tödlichen Messerstichen auf einen 35-jährigen Mann im August in Chemnitz suchte die AfD auf den ausländerfeindlichen Demonstrationen offensiv die Nähe zu Pegida und dem Neonazi-Bündnis »Pro Chemnitz«. Dieser Schulterschluss hat eine neue Qualität: Es ist eine Allianz von parlamentarischen Rechtsradikalen und Straßen-Neonazis. Ganz offen und ganz selbstbewusst. Das hinterlässt Spuren.
Der Politikwissenschaftler Vorländer glaubt nicht, dass das Phänomen Pegida so schnell verschwindet. Selbst wenn Kanzlerin Angela Merkel (CDU) irgendwann ihren Posten aufgibt. Auch Chaimite sagt, Pegida gehöre fest zur Struktur der Rechten. »Das ist natürlich brandgefährlich.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.