Viel Zauber und ein Hauch von Neid

Gegen den Strom des modernen Fußballs: Warum Jadon Sancho zum BVB kam und die Bayern nervös macht

  • Daniel Theweleit, Dortmund
  • Lesedauer: 3 Min.

Irgendwo im Hintergrund spielte auch Borussia Dortmund eine Rolle, als die Chefs des FC Bayern sich in der vergangenen Woche entschlossen, ihre legendäre Pressekonferenz abzuhalten. Wenn es sportlich sehr gut läuft beim BVB, werden die Herren in München traditionell ein wenig unruhig. Und wer jenseits der Widersprüchlichkeit der Veranstaltung etwas genauer hinsah, konnte sogar einen Hauch von Neid hineininterpretieren in die Erläuterungen von Karl-Heinz Rummenigge. Der Vorstandsvorsitzende des Rekordmeisters beschwerte sich über eine «falsche Darstellung» in einer Publikation des Springer-Verlages zur «Einschätzung des Spielers Sancho, der ja jetzt bei Borussia Dortmund spielt». Wahrscheinlich ging es um einen Bericht in der «Sport-Bild» - mit der Überschrift «Bayern lehnte Shootingstar Sancho ab». Dieser 18-Jährige macht die Münchner nervös, einerseits, weil sie an der Säbener Straße nicht immer Glück haben bei ihrer Suche nach Teenagern mit Weltklassepotenzial. Und zum anderen weil Sancho ihnen sportlich wehtun kann.

Am Mittwochabend spielt Jadon Sancho nun erstmals mit dem BVB gegen einen Klub aus dem Kreis der Champions-League-Giganten. Atlético Madrid ist zu Gast in Dortmund. Nicht nur die Verantwortlichen beim Bundesligatabellenführer werden mit großer Neugier beobachten, ob der kleine Dribbler vom linken Flügel auch die robusten Spanier in einen Zustand des Schwindels versetzen wird. «Tack, Tack, Tack, mit einem Kontakt» spiele der Engländer, sagt sein Trainer Lucien Favre über das Juwel, das am letzten Tag der Transferperiode im Sommer 2017 von Manchester City zum BVB wechselte. Marco Reus bezeichnet seinen Doppelpasspartner als «echte Waffe», in England nennen sie den Sohn von Einwanderern aus Trinidad und Tobago «Wonderkid».

Dass dieser Spieler, der zuvor in der Jugendakademie von Manchester City spielte, nach Dortmund wollte, ist in der Tat erstaunlich. Denn eigentlich strömen die Migrationsflüsse des modernen Fußballs eher in die andere Richtung - hin zur Premier League. «Ich denke, er hat sich für den BVB entschieden, weil wir seit mehr als einem Jahrzehnt die besten europäischen Talente verpflichten, ihnen vertrauen, viel Spielzeit geben und sie immer besser machen», wird Michael Zorc in dem Artikel zitiert, der für Diskussionsstoff in München sorgte.

Jenseits der sportlichen Niederlagen, die der BVB zuletzt gegen den Rekordmeister erlitt, haben sie sich diesen Wettbewerbsvorteil tatsächlich bewahrt. Mit dem Ergebnis, dass Sanchos Vertrag Anfang Oktober bis 2022 verlängert wurde - ohne Ausstiegsklausel, wie die Verantwortlichen beim BVB versichern. Denn Sancho, den Sportdirektor Zorc als einen «der spannendsten Spieler in Europa» bezeichnet«, ist ein zentraler Baustein des runderneuerten BVB. Jenseits der neuen professionellen und willensstarken Mentalität, die von Spielern wie Axel Witsel oder Thomas Delaney verkörpert wird, und der fachlichen Qualität des Trainers Favre steht Sancho für den Zauber des jugendlichen Überschwangs. »Hier entsteht etwas Großartiges, hier kann ich mich entwickeln«, sagt Sancho, der in dieser Bundesligasaison bereits sechs Treffer vorbereitet und zwei selbst erzielt hat.

Sogar Pep Guardiola ist angesichts dieser Entwicklung etwas neidisch, denn natürlich hätte der Durchbruch des Talents auch bei ihm in England gelingen können. Doch irgendwie fehlte dem jungen Spieler im Sommer 2017 das Vertrauen des Cheftrainers von Manchester City. Sancho »entschied damals zu gehen, weil er nicht mehr hier sein wollte. Das heißt, dass er wohl keinen guten Eindruck von diesem Ort hat«, sagt Guardiola.

Acht Millionen Euro überwies der BVB angeblich nach Manchester. Inzwischen wird der Marktwert Sanchos, der bei der U17-EM 2017 zum Spieler des Turniers gekürt wurde, auf 45 Millionen Euro taxiert. Zwar verlor England damals das Finale gegen Spanien, aber der deutsche Trainer Christian Wück sagte über Sancho und den zweiten englischen Turnierstar Phil Foden: »Ich habe niemals bessere Spieler in diesem Alter gesehen.« Anfang Oktober debütierte der junge Dortmunder nun auch in der englischen A-Nationalmannschaft - die Entwicklung schreitet rasant voran.

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