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Dortmund verblüfft sich selbst
Die Borussia erzeugt auch in der Champions League eine magische Wirkung
Die Herbstnacht hatte das Westfalenstadion bereits in Dunkelheit gehüllt, der Bus mit den Gästen aus Madrid verließ gerade das Gelände: Es war still geworden in Dortmund, als Roman Bürki noch einmal von einer Welle der Leidenschaft erfasst wurde. Teil dieser Mannschaft zu sein, »berührt einen wirklich«, verkündete der Torhüter nach diesem denkwürdigen 4:0 gegen Atlético Madrid, dem nun schon sechsten Spiel in Folge, in dem der BVB drei oder mehr Tore erzielt hat.
»Es macht so viel Freude, so viel Spaß, mit diesen Jungs zusammenzuspielen, und ich glaube, das geht vielen so«, erklärte der Torhüter geradezu liebevoll, nachdem er - wie so oft in den vergangenen Wochen - in richtungsweisenden Momenten mit Glück und viel Können zum Erfolg beigetragen hatte. Das Trikot von Atlético-Torhüter Jan Oblak lag über Bürkis Schulter, eine Trophäe sei das grüne Shirt allerdings nicht, eher »ein Souvenir«, stellte er klar. Der Schweizer fängt schon jetzt an, Erinnerungen an eine Saison zu sammeln, die tatsächlich einmal einen besonderen Platz in den Karrieren dieser Fußballer und in der Geschichte dieses Klubs einnehmen könnte.
Es ist eine Magie in Dortmund entstanden, unter deren Einfluss immer neue Spieler heldenhafte Dinge tun. Eine Kraft, die sogar jene Profis beflügelt, die oft nur auf der Bank oder der Tribüne sitzen. Die wundersamen Geschichten von den Offensivleuten Paco Alcácer, der aufgrund einer Oberschenkelblessur fehlte, und Jadon Sancho sind zuletzt oft erzählt worden. Noch erstaunlicher ist aber: Wen auch immer Trainer Lucien Favre in den Wettkampf schickt, es funktioniert. Raphael Guerreiro ist so ein Beispiel, der Portugiese hatte bislang nur sehr wenig Spielzeit, am Mittwochabend wurde seine Einwechslung zum Schlüsselmoment. Nach der Halbzeit hatten die Dortmunder »ex-trem leiden« müssen, rief Marco Reus in Erinnerung, der BVB führte nach einem Treffer von Axel Witsel (38.) zwar mit 1:0, Atlético war aber drückend überlegen, traf Latte und Pfosten. Eine grundlegende Wende im Spiel erschien in diesen Minuten viel wahrscheinlicher als das 4:0, das am Ende bejubelt werden konnte. In diesem Moment gab Guerreiro seiner Mannschaft mit seiner Ballsicherzeit und Präsenz neue Kraft.
Ähnliches gilt für den 19-jährigen Achraf Hakimi, der bislang nur in der Hälfte der Bundesligapartien und nun zum ersten Mal in der Champions League spielte: Am Ende hatte der marokkanische Linksverteidiger drei Treffer vorbereitet. Zudem strahlten der 19-jährige Dan-Axel Zagadou und der drei Jahre ältere Abdou Diallo in ihren Duellen mit den Weltklassestürmern Antoine Griezmann und Diego Costa die Souveränität von unerschrockenen Routiniers aus.
»Es ist geil, zu sehen, wie die 18- oder 20-Jährigen reinkommen, arbeiten, verteidigen, Tore machen«, sagte Thomas Delaney. In Dortmund ist eine Gruppe entstanden, die langsam beginnt, über sich selbst zu staunen. »Sensationell, unfassbar« seien die Taten dieser Mannschaft, sagte Kapitän Reus, der zur Achse der Älteren gehört, die die Jungen stützt. Auch die Ruhe von Witsel ist ein zen-traler Faktor. Und Mario Götze, der erstmals seit Mitte September in der Startelf stand, machte nicht nur eines seiner besten Spiele seit Langem, er ist noch an anderer Stelle von großer Bedeutung: Dass solch ein renommierter Spieler auch dann mit Hingabe und Seriosität trainiert, wenn er wochenlang nicht spielt, zieht die anderen mit. Trainer Favre »gibt uns das Gefühl, dass wir eine Mannschaft sind. Wenn du nicht im Kader bist, dann bist du nicht raus«, beschrieb Delaney die Atmosphäre.
Sogar Diego Simeone war hingerissen vom »Vertikalspiel«, der »Schnelligkeit« und dem Geist dieses BVB. »Ich hoffe, die Dortmunder können so weiterspielen«, sagte der argentinische Erfolgstrainer, der in seinen sieben Jahren bei Atlético noch nie so hoch verloren hat. Es sei nämlich »sehr schön, das zu beobachten«, was derzeit in Dortmund entsteht.
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